LVZ 26.08.08

 Linke: Stadt soll Neonazi-Forderungen entgegentreten – Gegenkundgebung geplant

Leipzig. De Linke in Sachsen hat Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard
Jung (SPD) kritisiert, weil er nicht offensiv rechtsextremistischen
Aktionen im Zusammenhang mit dem Fall Michelle entgegentrete. Es sei
längst der Zeitpunkt erreicht, an dem auch die Stadt sich äußern
müsste, wenn auf Demonstrationen von Neonazis die Todesstrafe für
Kinderschänder gefordert werde, sagte das Landesvorstandsmitglied
Juliane Nagel. „Jetzt sollte auch der Oberbürgermeister etwas dazu
sagen.“

Leipzigs Stadtsprecher Steffen Jantz räumte ein, dass die demokratische
Politik jetzt möglicherweise aktiver dagegen vorgehen müsse, dass
Rechtsextreme die Ängste der Menschen ausnutzten. Es sei aber eine
Frage der Pietät und der Gratwanderung zwischen Zurückhaltung
angesichts der Tragödie und dem demokratischen Anliegen. Man wolle die
politische Debatte um die Todesstrafe auch „nicht hochschaukeln“, sagte
er. Konkrete Planungen für eine offizielle Trauerfeier der Stadt für
Michelle gebe es noch nicht.

Nagel sagte, Bürgerinitiativen würden derzeit überlegen, am kommenden
Montag eine Gegenkundgebung zu organisieren. Dabei wolle man ebenfalls
die Ängste der betroffenen Eltern und Bürger ernst nehmen und darauf
eingehen, gleichzeitig aber eine deutliche Abgrenzung zu den
Rechtsextremisten erreichen.

Am Montag hatten gut 500 Demonstranten – darunter laut Polizei mehr als
300 Rechtsextreme – in Leipzig härtere Strafen für Kinderschänder
gefordert. Der Protestzug startete am Montagabend vor der Grundschule
des getöteten Mädchens und endete am Stötteritzer Wäldchen, wo die
Leiche der Achtjährigen gefunden worden war.

Aus dem Zug wurden Rufe laut wie: „Keine Gnade für Kinderschänder“ und
„Kinderschänder – Todesstrafe“. Etwa hundert Teilnehmer trugen
uniformähnliche Kleidung, wie sie in der rechtsextremen Szene üblich
ist. Wie Polizeisprecher Uwe Voigt mitteilte, verlief die Kundgebung
jedoch friedlich und ruhig. Auf Seiten der rechtsextremen Szene im
Internet war seit Michelles Verschwinden die Todesstrafe für
Kinderschänder gefordert worden.

Auch im Fall des ermordeten Mitja hatten Rechtsextreme die Situation
auszunutzen versucht: Sie verteilten Flyer, in denen sie ihren Parolen
freien Lauf ließen. So wurde gegen Ausländer und so genannte
„Volksentfremdete“ gehetzt. Mitglieder der Szene demonstrierten damals
mehrmals.

Dass die rechtsextreme Szene ausgerechnet im Fall Michelle wieder
massiv aktiv wurde, ist kein Zufall: Der Onkel des ermordeten Mädchens,
Istvan R., zählt zu den führenden Köpfen des Neonazi-Netzwerks Freie
Kräfte Leipzig. Allein in diesem Jahr trat er bei zahlreichen
Rechtsextremen-Kundgebungen, etwa in Reudnitz, Grünau und Großzschocher
als Anmelder auf.

Bereits bei den Worch-Demos in früheren Jahren sichteten ihn
Staatsschützer in den ersten Reihen des Marschblocks. Vor einem Monat
stand er im Zusammenhang mit einem Überfall auf das alternative
Jugendzentrum Bunte Platte in Grünau vor Gericht. Wegen des Vorwurfs
der Beleidigung wurde er damals zwar aus Mangel an Beweisen
freigesprochen. Allerdings muss er sich voraussichtlich im November
wegen der bei diesem Überfall begangenen Körperverletzung verantworten.

Angemeldet hatte die Demonstration vom Montag Simone Thalheim, die in
dem Viertel von Michelles Familie wohnt. Eine Initiative aus Eltern und
Anwohnern habe sich spontan zusammen geschlossen, so Thalheim. Es gehe
ihr aber nicht nur um den Fall der getöteten Michelle, sondern um die
generelle Sicherheit der Kinder und den Umgang mit Sexualstraftätern.

Sie bestätigte außerdem, dass "rund 100 Leute aus der rechtsextremen
Szene" an dem Protestzug teilnahmen und dabei auch mit Megafonen
Anweisungen für Schweigeminuten während der Kundgebung gaben. "Die
Forderung der Todesstrafe lehnen wir aber ab", sagte Thalheim. Sie habe
deshalb am Montagabend auch dafür gesorgt, dass diese Rufe schnell
wieder verstummten.

Die Demonstrationen sollen von nun an wöchentlich am Montagabend
stattfinden. Geplant ist eine Strecke über die Zweinaundorfer Straße,
die Breite Straße und die Dresdner Straße bis zum Augustusplatz, wo die
Demonstration jeweils mit einer Kundgebung beendet werde, so Thalheim.

Am kommenden Sonnabend solle in Leipzig zudem eine Kinderschutzgruppe
gegründet werden. Vorbild ist die Berliner Organisation "Carolin". Der
Verein hatte sich 2005 gegründet. Damals war die 16-jährige Carolin aus
dem Ostseebad Graal-Müritz in einem Wald vergewaltigt und erschlagen
aufgefunden worden. Die Elterninitiative aus der Bundeshauptstadt
betreibt Prävention und Aufklärung und hilft Thalheim zufolge beim
Aufbau der Leipziger Vereinigung.

Zusätzlich zum Spendenkonto der Stadt Leipzig (Konto 1 000 000 040,
Sparkasse Leipzig, Bankleitzahl 860 555 92, Verwendungszweck:
Michelle), richtete auch die Elterninitiative ein Konto zugunsten der
Familie von Michelle ein (Konto 10 88 100, Bank für Sozialwirtschaft,
Bankleitzahl 100 20 500, Verwendungszweck: Spende für Michelle).

mro, sb, kol, F. D./dpa

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