Antifa-Aufmarsch
"Kein akzeptables Mittel der Demokratie"
Wurzen. Mit der angeblichen Ignoranz der Bürger gegenüber dem Thema
Rechtsextremismus rechtfertigte Juliane Nagel gestern Organisation und
Verlauf des "Antirassistischen Sonntagsspaziergangs" am 22. März in
Wurzen. In einem Schreiben an die LVZ erklärte die Sprecherin des
"Antifaschistischen Netzwerks Leipziger Land": "Die
,Sonntagsspaziergänge’ wurden auch in den Vorjahren von den
,Eingeborenen’ kaum wahrgenommen." Man müsse aber gegen die auch vor
Wurzen nicht halt machenden gewachsenen Aktivitäten von Nazis vorgehen.
Dagegen "richtete sich die Demonstration." Nagel, Mitglied im
Landesvorstand der Linken Sachsens, räumte ein: "Sicherlich waren
Erscheinungsbild und auch skandierte Sprüche mehr als
gewöhnungsbedürftig." Um dann jedoch denen die Schuld dafür zuzuweisen,
die solche Aktionen hätten unnötig machen können: "Es liegt in der Hand
der Wurzener Bürgerschaft, ein Klima demokratischer Alltagskultur und
Weltoffenheit zu leben, das einen anderen Anstrich und andere Methoden
hat." Als zweiten Schuldigen machte die Antifa-Funktionärin die Polizei
aus: "Wer thematisiert das massive und überzogene Aufgebot, das den
Demonstrierenden von Anfang an mit Aggressivität und Misstrauen
entgegentrat?" — Das von vielen Bürgern erlebte Bild sah anders aus:
Demo-Teilnehmer beschimpften Wurzener, zeigten ihnen den Stinkefinger,
brachen aus, um die erlaubte Strecke zu verlassen, demolierten parkende
Autos. Dem LVZ-Fotografen drohten sie, ihn aus dem Weg zu räumen, wenn
er nicht verschwände. Und: Nicht bei allen Aufmarschierten war es
möglich, ihre Identität festzustellen, weil sie ihr Gesicht verhüllt
hatten — nach dem Versammlungsgesetz eine Straftat.
Kerstin Köditz, Landtagsabgeordnete der Linken, die nach eigenen Worten
als Beobachterin an der Demo teilnahm, äußerte sich gestern auf
LVZ-Anfrage so: "Niemand kann sicherlich wirklich glücklich sein. Eine
völlig verfehlte Polizeistrategie auch schon im Vorfeld einerseits, die
mangelhafte Einbeziehung von Strukturen in Wurzen, die das inhaltliche
Anliegen teilen, anderseits haben eine brisante Lage geschaffen. Ich
erinnere aber daran, dass der Ursprung des diesjährigen Problems in den
massiven Angriffen von Neonazis auf die Demo im vergangenen Jahr liegt.
Ich bin mir sicher, dass eine intensive interne Auswertung diese Fehler
für die Zukunft vermeiden wird."
Wurzens Bürgermeister Gerald Lehne, der Oberbürgermeister Jörg Röglin
derzeit vertritt, verwies gestern auf dessen Erklärung im Namen der
Stadt und ihrer Bürger (LVZ berichtete) "Er hat sich eindeutig
positioniert, indem er unter anderem betonte: ,Ich habe im Wahlkampf
klare Worte zum Thema Rechtsextremismus gefunden, und dazu stehe ich.
Ich weise in aller Deutlichkeit Versuche zurück, alle Wurzener
Bürgerinnen und Bürger an den Pranger zu stellen.’" Dem sei nichts
hinzuzufügen, so Lehne. "Außer: Man darf sich nicht vermummen, wenn man
Gesicht für Wurzen zeigen will. Unsere Wurzener Bürger zeigen täglich
Gesicht. Wenn aus Demonstrationen heraus die Gefahr von
Körperverletzungen und Sachbeschädigungen ausgeht, ist das kein
akzeptables Mittel der Demokratie. Wir danken den Beamten der Polizei
für ihr umsichtiges und engagiertes Handeln." Wulf Skaun