Dresdner Blog zum 13.02.08

1000 Nazis! An einem Mittwoch. Und das obwohl die Freikraftler vom
“Aktionsbündnis gegen das Vergessen” praktisch gegen den samstäglichen
Aufmarsch mobilisiert haben, den sie als populistische Anbiederung
sehen. (In einem Redebeitrag auf ihrer Abschlußkundgebung hieß es: “Sie
können selbst beurteilen, wer die Opfer angemessen behandelt und wer
sie verhöhnt.”) Es gab keinerlei Begünstigung oder Duldung von
Gegenaktivitäten durch die Stadt, wie es anderswo mittlerweile üblich
ist und die Antifa bei solchen Aufmärschen teilweise weniger dringend
nötig gemacht hat. Diese Stadt hat wirklich Nazis satt, fließend aus
der Wand, als Flatrate. Und gerade mit Blick auf das Ordnungsamt und
die Stadtverwaltung hat sie daran zu einem erheblichen Teil selber
schuld. Daß die Antifa diese Zustände thematisiert und
konsequenterweise gegen Nazis und die Stadt textet, kann nur aus sehr
großer räumlicher oder inhaltlicher Entfernung für kontraproduktive
“Kompromißunfähigkeit” gehalten werden.

Leider
fanden sich nur etwa 200 bis 300 Antifas ein, die die meiste Zeit an
ihrer unglücklich zwischen Synagoge und Polizeihauptwache platzierten
Kundgebung festklebten oder sich beim Umherschweifen in der Stadt
Platzverweise einsammelten. Die Versuche, die lieben Genossen aus
anderen Städten schon vorm Wochenende nach Dresden zu locken, waren nur
in recht begrenztem Ausmaß erfolgreich. Wie schon am Morgen durchsuchte
die Polizei wieder gründlichst bis in die Intimsphäre, bei vielen
Antifas mehrfach. Zwischendurch befreite eine kleine Einsatzgruppe gar
einen Baum und ein paar Sträucher von der Bedrohung durch Randalierer
und bewachte die Szenerie danach noch eine Weile.

Unterdessen
wurde beim Rumgeopfer an der Frauenkirche eine Kerze auf eine Seite des
Wiederbaus projiziert. Beim Durchlaufen der beträchtlichen Opfermenge
versuchte ich abermals vergeblich klarzubekommen, daß das alles
wirklich passiert ist und passiert: sie haben die Frauenkirche wirklich
wiederaufgebaut, sie nutzen sie wirklich als Symbol ihrer
Geschichtsverdrehung, es stehen wirklich Hunderte von Menschen auf dem
Platz davor herum und sind wirklich tief bewegt. Gbt es nicht
mittlerweile auch Leute, die damals wirklich Angehörige verloren haben
und dieses Schauspiel grotesk und instrumentalisierend finden? Als wir
den Platz verließen, hörte ich einen Polizist sagen: “Was soll denn
hier schon passieren?” Und ich dachte: ‘Was würde wohl passieren, wenn
ich jetzt anfange zu singen?’

Auf der Zielgeraden, als der
Nazi-Schweigemarsch den Postplatz passiert hatte, schafften es genügend
Antifas und auch empörte Dresdner an die Demoroute heran, um bis zum
Schluß die höchst pathetische klassische Musik aus dem Kameradenlauti
mit anhaltenden lauten Sprechchören zu übertönen.

Eine
Schrecksekunde, besser eine ganze Reihe von Schreckminuten gab es, als
die Abschlußkundgebung der Nazis am Rathaus gerade beendet war und die
Wand aus Polizeiwannen, die in Richtung Pirnaischer Platz alles
hermetisch abgeriegelt hatte, inklusive sämtlicher Beamter von einem
Moment auf den nächsten verschwand. Bis dahin waren alle Mutmaßungen
über einen eventuellen Durchbruch einer größeren Nazigruppe zum Ort der
Antifa-Kundgebung mit dem Verweis auf eben diese Blechwand mit
Ninjabesatzung verworfen worden, jetzt lagen plötzlich zwischen
mehreren Hundert motivierten Nazischlägern und der Kundgebung nur noch
ein paar Hundert Meter schlecht bewachtes Gelände.

Glücklicherweise
gelang den Nazis schließlich doch kein organisierter Durchbruch mehr,
nach kleineren Rangeleien fuhren sie nach Hause bzw. versuchten es, da
einige ihrer Busse in der Zwischenzeit kaputtgegangen waren.

Abschließend
will ich noch mal so parolenfrei wie möglich und hoffentlich
unmißverständlich darauf hinweisen, daß ich alle Argumente kenne, die
mittlerweile gegen Antifa-Aktionen sprechen, daß es in Dresden aber
anders aussieht. Man muß sich nicht als bessere Demokraten in die Spur
werfen, wenn die jeweilige Stadt das in Gestalt von Bürgerprotesten
oder Demoverboten bereits tut. Man muß sich auch nicht als Feigenblatt
hergeben, um eine üble Situation weniger übel erscheinen zu lassen. Im
Falle Dresdens ist jedoch die geschichtsrevisionistische
Opfermythologie ein solches Massenphänomen, die Zusammenarbeit von
Antifa und “Bürgers” so abwesend, die Duldung und Begünstigung der
Nazis so umfassend und auch die Schnittmenge zwischen expliziten
Nazipositionen und “normalem” Welt- und Geschichtsbild so groß, daß es
keinen Grund für Entwarnung oder Rückzug gibt.

Am Samstag
werden voraussichtlich noch erheblich mehr Nazis in die Stadt kommen.
Es wird seitens der Polizei und der Stadt wieder für eine möglichst
reibungslose Nazidemo mit idealer Innenstadtroute gesorgt werden. (Das
Ordnungsamt hat offenbar die jüdische Gemeinde unter Druck gesetzt,
wegen der vorbeiziehenden Nazis ihren samstäglichen
Abschlußgottesdienst nicht im Freien im Innenhof der Synagoge
durchzuführen. Ist alles nur zu ihrer eigenen Sicherheit…)

Was
immer an diesem reibungslosen Ablauf gestört, behindert oder gar
gestoppt werden kann, würde richtig helfen. Nicht beim Beseitigen der
Schandflecke der tollen Stadt, nicht beim Verhindern der Besudelung der
schönen historischen Kulisse, nicht beim Retten irgendwelcher
Demokratieideale oder eigener revolutionsromantischer Selbstbilder –
was nebenbei sicherlich auch alles eine Rolle spielen wird -, sondern
vor allem original beim Konfrontieren von Tausenden
nationalsozialistischen Schlägern, denen sonst gerade nicht viel im Weg
steht.

Mußte mal gesagt werden.

http://www.classless.org/2008/02/14/dresden-selber-schuld-teil-2-der-viel-zu-grose-kleine-naziaufmarsch/ 

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