Leipzig. Die Bewohner eines Reudnitzer Hauses leben seit Wochen in
ständiger Angst. Nach mehreren Anschlägen mutmaßlich Rechtsextremer
wollen viele der überwiegend studentischen Mieter jetzt aus dem Haus
ausziehen. "Seitdem die Angreifer auch in unsere Wohnungen eingedrungen
sind, hat die Gewalt eine neue Dimension erreicht. Wir fühlen uns hier
nicht mehr sicher", erklärt einer der Bewohner. In jüngster Zeit hatten
sich die Attacken gegen das Haus in der Holsteinstraße gehäuft. So
schmierten im November Unbekannte ein Hakenkreuz an das Gebäude. Vor
anderthalb Wochen verschafften sich mehrere Männer Zugang zum Hausflur
und warfen durch den Briefkastenschlitz einen Böller in eine der
Wohnungen. Seitdem ermittelt der Staatsschutz.
"Ich habe keine Lust abzuwarten, dass die nächste Stufe der Eskalation
eintritt", meint ein anderer Mieter, der um die Sicherheit seiner
zweijährigen Tochter fürchtet. Er ist, wie zahlreiche andere Bewohner
nach den jüngsten Angriffen, fest entschlossen, so schnell wie möglich
seine Wohnung zu räumen. "Ich will mich dieser Gewalt nicht weiter
aussetzen", sagt der junge Mann. Eine fristlose Kündigung des
Mietvertrags sei jedoch nicht möglich. "Wir müssen wahrscheinlich die
Kündigungsfrist abwarten."
Bei den jüngsten Attacken am 19. Januar hatte die Polizei zwei
Tatverdächtige festgenommen, die die Fassade des Hauses mit Steinen
beworfen haben sollen. Über Verbindungen zur rechtsradikalen Szene
schweigen sich die Ermittler bislang aus. "Dazu können wir aus
ermittlungstaktischen Gründen nichts sagen", erklärt Polizeisprecherin
Silvaine Reiche nach Rücksprache mit dem Staatsschutz.
Öl ins Feuer haben in dieser Woche Plakate gegossen, die von Unbekannten
an dem Haus in Reudnitz sowie in mehreren andern Leipziger Stadtteilen
angebracht wurden. Auf den Transparenten mit der Überschrift "Linken
Terror aufdecken" sind Fotos von fünf Personen zu sehen, die am 12.
Januar gegen einen Neonazi-Aufmarsch protestiert haben sollen. Damals
genehmigte das Ordnungsamt den Rechtsextremen, eine Zwischenkundgebung
vor dem Haus in der Holsteinstraße abzuhalten. Als die Bewohner
versuchten, die Veranstaltung mit lauter Musik zu stören, drang die
Polizei gewaltsam in das Gebäude ein und stellte den Strom ab. Erkannt
haben will sich jedoch keiner der Mieter auf den Plakatbildern.
Veröffentlicht wurden mehrere der Aufnahmen zeitweise auch auf der
Internetseite der Kameradschaft "Freie Kräfte Leipzig". Die
Neonazi-Gruppe hat die Fotos mittlerweile aus dem Netz entfernt.
"Der Sachverhalt ist uns bekannt. Es liegt ein Verstoß gegen das
Kunsturhebergesetz vor. Ein Verfahren wurde eingeleitet", sagt
Polizeisprecherin Reiche. Da es sich bei der Verletzung von
Persönlichkeitsrechten um ein Antragsdelikt handele, werde die Polizei
jedoch erst aktiv, sobald sich einer der Geschädigten an die
Ermittlungsbehörden wende. Bislang sei dies nicht der Fall gewesen. Die
Polizei bittet alle, die sich auf den Bildern wieder erkennen, sich
unter der Telefonnummer 0341/96646666 zu melden. "Hinweise auf
Tatverdächtige liegen uns bisher ebenfalls nicht vor", so Reiche. Der
Staatsschutz sei über die Angelegenheit informiert.
Die Studenten aus der Holsteinstraße wollen sich nun aktiv gegen rechte
Gewalt in Reudnitz engagieren. "Wir planen, eine Bürgerinitiative zu
gründen, um auf das Problem aufmerksam zu machen", sagt einer der
Bewohner. Unterstützung erhalten sie dabei unter anderem von der Grünen
Jugend Leipzig, die sich der Initiative anschließen will: "Die Rechten
versuchen, studentische Jugendliche aus Reudnitz zu vertreiben. Es ist
bedauerlich, dass sie mit ihren Aktionen erstmals Erfolg haben", sagt
Sprecher Matthias Rampke. Der 21-Jährige will nun mit vereinten Kräften
gegen die Wegzugbewegung ankämpfen. "Wir müssen verhindern, dass
Reudnitz irgendwann zur No-Go-Area wird", so Rampke.
nöß, LVZ-Online