Chemieblogger zur PR der Leipziger Polizei

Die PR-Maschinerie der Leipziger Polizei 

Ob „Discokrieg“ oder Mordfall Michelle, die Polizeidirektion Leipzig steht seit Monaten in der Kritik. Da passt politisch motivierte Gewalt im Umfeld des Leipziger Fußballs nicht ins Konzept. Eine Analyse polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit

Die Polizei Leipzig hat offensichtlich eine Diffamierungskampagne gegen die Fans der BSG Chemie Leipzig initiiert. Auslöser waren die Vorfälle vom 19. April 2009 in Miltitz, als eine Gruppe Rechtsradikaler bei dem Versuch, einen friedlichen Fußballnachmittag zu stören, gewalttätig aus dem Stadion befördert wurde. In dieser Folge kam es am vergangenen Sonntag, dem 3. Mai 2009, zu einer erneuten Eskalation der Gewalt – diesmal von den Neonazis ausgehend. Die Ereignisse wurden umfassend von der ag.doc dokumentiert

Vor dem Hintergrund der Politisierung der Fußballrivalität in Leipzig hat sich die Polizei nun offenbar zum Ziel gesetzt, die Fans der BSG Chemie pauschal als vermeintliche „Chaoten“ zu diskreditieren. Die entsprechende Pressemitteilung der Polizeidirektion Leipzig zu den Ereignissen in Miltitz, für die Anke Fittkau verantwortlich zeichnet, kann man noch wohlwollend unter Naivität verbuchen: 

  Randale vor Fußballspiel

  Nach Regionalliga und Oberliga muss die Leipziger Polizei nun auch in der niedrigsten aller Fußballverbandsklassen, der dritten Kreisklasse, tätig werden. So kam es am gestrigen Tag, gegen 13.00 Uhr, zu einer Auseinandersetzung zwischen ca. 50 „Fans“ der BSG Chemie und ca. 20 Anhängern des FC Sachsen. Diese hatten die Absicht, die hochklassige Partie zwischen Grün-Weiß-Miltitz und der BSG Chemie zu besuchen. Beim Betreten des Sportplatzes in der Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße wurden die FC-Sachsen-Fans von den „Ultrafans“ der BSG Chemie angegriffen und am Betreten des Geländes gehindert. Dabei wurden Tische, Stühle und Gläser des Freisitzes der Gaststätte als Wurfgegenstände genutzt. Die Sachsenfans verließen daraufhin den Sportplatz. Gegenüber der mit einem Großaufgebot herbeieilenden Polizei machten sie keine Ansprüche geltend und verzichteten, da sie nicht verletzt wurden, auf eine Anzeige. Da die Chemiefans den entstandenen finanziellen Schaden umgehend beglichen, verzichtet auch der Gaststättenbetreiber auf eine Anzeige. Dennoch wurden von Amts wegen die Ermittlungen aufgenommen.

Man beachte den – für eine Pressemitteilung einer öffentlichen Institution – ungewöhnlich polemischen Einstieg. Als ob „Fußballgewalt“ (in diesem Fall bewusst in Anführungszeichen) mit der Spielklasse zusammenhängen würde. Die inhaltlichen Fehler – dass es sich bei den „Opfern“ um vermeintliche Fußballfans des FC Sachsen gehandelt habe – wurden hier bereits umfassend analysiert. Es waren Neonazis, die bewusst provozieren wollten. Neonazis, die in Anbetracht des brutalen Überfalls auf die Diablos am 3. Januar 2009 eine reale Bedrohung für die Chemie-Fans darstellten. Noch während des Miltitz-Spiels sickerte übrigens durch, dass die „Opfer“ – ob als gesamte Gruppe oder einzeln ist nicht bekannt – von der Polizei im Anschluss aufgegriffen wurden. Dort gaben sie sich als Fans des FC Sachsen aus. Die Überprüfung der Personalien ergab in jedem einzelnen Fall eine Übereinstimmung mit Einträgen in der Datei „Gewalttäter Sport“.

Die zweite Pressemitteilung der Polizeidirektion Leipzig, die im Anschluss an die Vorfälle in Lausen unter der Verantwortung von Birgit Höhn, Anke Fittkau und Sebastian Schmidt veröffentlicht wurde, hat hingegen nichts mehr mit Naivität oder Unwissen zu tun:

  13. Liga – ganz unten

  Auch am gestrigen Tag kam es im Rahmen eines Fußballspiels der BSG Chemie leider mal wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Zwar verlief das Punktspiel zwischen der SG Lausen III und der BSG Chemie ohne große Vorkommnisse, doch auf dem durch Polizeibeamte begleiteten Abmarsch von ca. 100 sogenannten Chemiefans zündeten einige plötzlich Feuerwerkskörper. Außerdem wechselte die Gruppierung unvermittelt und ohne erkennbaren Grund die Richtung und rannte zurück zum Stadion der SG Lausen. Dabei wurden zwei Funkstreifenwagen durch einige der „Anhänger“ mittels Faustschlägen und Fußtritten beschädigt. Den Einsatzkräften gelang es, den Pulk vor Erreichen des Stadions zu stoppen. Nunmehr wurden aus der Gruppierung heraus in Richtung der Beamten Steine geworfen, wobei glücklicherweise niemand verletzt wurde. Nachdem es den Polizeikräften gelungen war, die Lage wieder zu beruhigen, wurden die Fans bis zur Straßenbahnhaltstelle begleitet. Auf dem Weg dorthin gab es jedoch permanent den Versuch einer rivalisierenden Gruppierung von ca. 30 bis 40 Personen, sich mit den Chemieanhängern körperlich auseinanderzusetzen. Dies konnte jedoch durch das konsequente Einschreiten der Einsatzkräfte verhindert werden. In der weiteren Folge wurden die Chemiefans in der Straßenbahn bis zum Hauptbahnhof begleitet, wobei es dabei friedlich blieb.

Die Darstellung der Polizei ist ignorant und tendenziös. Was sich die Beamten offensichtlich nicht erklären konnten – verdeutlicht durch die bloßstellende Wortwahl von „plötzlich“, „unvermittelt“, „ohne erkennbaren Grund“ – klärt die ag.doc auf:

  Eine Gruppe von 50 Neonazis, die sich aus Mitgliedern der „Freien Kräften Leipzig“, der Fanszene des 1. FC Lok Leipzig sowie Vertretern der „Metastasen“ des FC Sachsen Leipzig zusammensetzte, attackierte die Fans an der Straßenbahnendhaltestelle Lausen. Die Aggressoren riefen „Juden“, „Antifa – Ha ha ha“, „L-O-K“ und „Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher“. Der Angriff ging äußerst brutal von statten. Als Waffen benutzten die Neonazis Baustellenschilder, Steine, Flaschen und pyrotechnische Erzeugnisse. Ein Chemie-Fan erlitt infolge von Steinwürfen Kopfverletzungen.

Das „plötzlich“, „unvermittelt“ und „ohne erkennbaren Grund“ erfolgende Wechseln der Richtung hatte etwas zu tun mit der Präsenz der Neonazis, die die gewalttätige Auseinandersetzung suchten. Wie die ag.doc weiter berichtet, gab es schon während des Spiels rassistische, antisemitische und diskriminierende Ausfälle:

  Bereits im Stadion war es zu rechtsradikalen Provokationen gekommen. Die späteren Angreifer warfen von außen Knallkörper auf das Gelände des Lausener Sportplatzes. Zudem fiel im Publikum eine Gruppe von 20 Neonazis, darunter mindestens ein Kader der „Freien Kräfte Leipzig“, durch rassistische Parolen und das Tragen der in rechtsradikalen Kreisen beliebten Kleidungsmarke „Thor Steinar“ auf. Auf der Anzeigetafel ließen sie eine „88“, den Code für „Heil Hitler“, erscheinen.

Vorfälle, welche von der Polizei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zwar wahrgenommen worden sind, in der anschließenden Unterrichtung der Medien aber schlichtweg ignoriert, totgeschwiegen werden. Stattdessen wird ein Bild transportiert, das Chemie-Fans als gewaltsuchend und randalierend sowie als eine Gefährdung für die Allgemeinheit darstellt. Politische Hintergründe werden ausgeklammert. Warum gibt es diese Auseinandersetzung zwischen Anhängern der BSG Chemie und Neonazis? Es geht nicht um Fußball. Es geht darum, dass die Chemie-Fans keine neonazistischen Umtriebe im Fußballumfeld dulden und bereit sind, aktiv gegen Rassismus und Diskriminierung einzutreten.

Es ist eine Situation, die Resignation nahelegt. Die Polizei sitzt am längeren Hebel, hat kraft ihres Status als öffentliche Behörde ein offenbar uneingeschränktes Glaubwürdigkeitsmonopol bei Medien, Öffentlichkeit und Gesellschaft. Pressemitteilungen werden unreflektiert zur Kenntnis genommen. Dabei sieht sich die Leipziger Polizei selbst vehementer Kritik ausgesetzt. „Discokrieg“, Mordfall Michelle, politische Gewalt im Umfeld des Leipziger Fußballs – die Polizei ist nicht Herrin der Lage, ist überfordert, leidet an falschen, auf Eskalation statt Deeskalation abzielenden Konzepten. Irgendwie muss sie den Bürgerinnen und Bürgern beweisen, das sie das Richtige tut. Das funktioniert prima, indem man strukturelle Probleme unserer Gesellschaft dadurch zu beseitigen versucht, in dem man die Symptome bekämpft.

Die Diffamierungskampagne gegen die Fans der BSG Chemie hat schon erste Erfolge gezeitigt. Der Verein veröffentlichte heute folgende Pressemitteilung:

  Wir distanzieren uns als Vorstand der BSG Chemie Leipzig e. V. ganz klar von den Vorfällen rund um die Spiele gegen Miltitz und die SG Lausen.

  Wir werden unter keinen Umständen akzeptieren, dass unser Verein von einigen so genannten Fußballfans als politische Bühne missbraucht wird.

  Zukünftig werden wir „Störer“ und gewaltbereite „Fans“ von den Spielen der BSG Chemie Leipzig ausschließen und entsprechende Sanktionen einleiten!


Welche Ansage der Polizei da wohl im Vorfeld an den Vorstand der BSG Chemie Leipzig erfolgt ist?

chemieblogger 

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