Selbstkritik ist eine Waffe

Selbstkritik ist eine Waffe

Reaktion auf jungle world Artikel und Solidaritätsforderung

Der Ruf nach der „Antifa“ und das Anklagen bestimmter Gruppen zeugt von eigener Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit.
Stellen wir uns jenes vor: Überall auf der Welt gibt es Linke, die solidarisch sind. Die sich für das einsetzen was sie propagieren, Antifaschismus, Antirassismus, Antisexismus, Antikapitalismus, Emanzipation, für die kommunistische/anarchistische Gesellschaft. Egal in welchem Bereich und in welchem Land antiemanzipatorische Tendenzen auftreten, sie melden sich zu Wort, gehen auf die Straße, gehen sogar militant dagegen vor. Ohne Aufforderung, von selbst, weil es ihre Überzeugung und ihr Anspruch ist.
Die Realität ist eine andere, die Linke führt ein Nischendasein, einen Existenzkampf. Sie ist kaum in der Lage ihre Ansprüche in die Gesellschaft einzubringen, sogar in ihrer eigenen Szene tut sie sich damit schwer. Erkämpfte Räume uns Standards werden wieder weniger und in manchem Bereich oder Landstrich entsteht der Eindruck, es muss wieder bei Null angefangen werden. Dies liegt zum Teil daran, dass die „Antifa“ nicht mehr als eine Jugendbewegung ist, die eher auf Events und Krawall setzt, als auf eine kontinuierliche Gesellschaftkritik, die auch mit der entsprechenden Praxis einher geht. Auch gerade deswegen, weil sich „älteren GenossInnen“ einfach abwenden oder ihr Glück vollends in der bestehenden bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft gefunden haben.

Diese Darstellung der „Antifa“ als nahezu unpolitische und unreflektierte Jugendbewegung ist nicht neu, sie wurde in den letzten Jahren oft bemüht. Es gab und gibt sogar Stimmen, die ein Ende der Antifa fordern, wie Mario Möller im Conne Island Newsflyer: “Der Antifa selbst gehört solange auf den Nerven herum getrampelt, bis diese endgültig als „politisches Konzept“ (Roman bzw. AAB) von der Bildfläche verschwindet!“[1]
Umso interessanter ist es, dass jetzt der Ruf aus einigen Teilen der Linken nach der „Antifa“ kommt, nebenbei rufen auch welche, die sich gar nicht als Links verstehen, für die es sogar mehr ein Schimpfwort ist und die am liebsten, nichts mehr mit ihrer eigenen Vergangenheit zu tun haben möchten. Komisch ist vor allem, dass nach ihr gerufen wird, obwohl doch keine/r eine entsprechende Reaktion erwartet. Als Beispiel sei hier das Kritisieren die Dauerpapp-Antifa/Haudrauf-Antifa Antifaschistische Linke Berlin (ALB) zu nennen, ohne diese verteidigen zu wollen. Aus antideutscher Sicht ist sie eh keine emanzipatorische Antifa, sondern die ewig gestrige Antiimp-Antifa. Für andere ist sie eine reine Event-Antifa, die nur kommt, wenn es um fette Massenaktionen wie den G8-Gipfel oder andere größere Ereignisse geht. Im Übrigen schön zu sehen, dass es auch mal der größte Naziaufmarsch Europas, in Dresden, in den Eventkalender geschafft hat, vielleicht schafft es auch noch Gera ("Rock für Deutschland") oder das "Fest der Völker" in Pößneck.
Daher fragt sich, warum die ALB als Negativbeispiel herangezogen wird, obwohl doch nichts anderes von ihr erwartet wird? Geht es dabei nicht doch nur um das ewig gleiche Gruppenbashing, die Unterscheidung in gute radikale und gesellschaftskritische Antifa und böse bewegungslinke Antifa. Ein Indiz dafür findet sich im Beitrag „Wo ist eigentlich die Antifa?“ (www.lizaswelt.net), dort heißt es: „Und nur wenige Antifa-Gruppen – wie etwa die der Berliner Humboldt-Uni oder [a:ka] aus Göttingen – haben begriffen, dass Antifaschismus die Solidarität mit Israel bedeutet und die größte Gefahr für die Juden weltweit derzeit nicht von arischen Glatzköpfen ausgeht, sondern von ihren islamistischen Nacheiferern.

Den Antifa-Mainstream hingegen beschäftigen ganz andere Dinge. Vor allem die Antifaschistische Linke Berlin, die sich mit www.antifa.de sozusagen die Schlossallee unter den Antifa-Domains gesichert hat, hat mit Kiez, Cops und Kapitalismus dermaßen viel zu tun, dass sie kaum dazu kommt, mal in den Iran zu schauen, wo Abertausende einen anständigen Aufstand einem Aufstand der Anständigen vorziehen und dafür mit einer Repressivität niedergemacht werden, die sich die Damen und Herren Gipfelstürmer nicht mal im Entferntesten vorzustellen vermögen.“ Es gibt also eine „richtige“ und eine „falsche“ Antifa, wenn sie doch aber so falsch und so gar keine Antifa ist, warum dann von ihr was einfordern, was sie doch gar nicht kann? In der Wunschvorstellung der Autonome Antifa [F] heißt es im Artikel „Antifa ohne Worte“[2]: „Endlich eine Gelegenheit für die antifaschistische Linke, ihre Slogans von globaler Solidarität zu skandieren und mit dem Kampf gegen Rechts »mit allen Mitteln und auf allen Ebenen« ernst zu machen. Sie ruft daher zu Demonstrationen auf, fordert offene Grenzen für die Verfolgten des Regimes und dessen weltweite Isolation. Natürlich kommt es auch zu militanten Aktionen gegen deutsche Konzerne, die weiterhin Geschäfte mit dem Regime machen.“
Dabei fallen einem drei Sachen ins Auge, zum einen der Wunsch nach Praxis in Form von Aktionen (Demonstrationen) auf der Straße, sowie militante Aktionen. Zwei Punkte die besonders gerne in die Kritik der nur praxisorientierten Jugendantifa einfließen, zum einen andauernd Demonstrationen zu machen, die inhaltlich nicht unterfüttert sind. Andererseits gäbe es viel zu viele davon. O-Ton: „Wegen jedem Scheiß wird ne Demo gemacht.“ Militante Aktionen seien wahllos, würden die Sprache reiner Gewaltgeilheit sprechen, seien nur Mackergehabe und würden keine vermittelbare Außenwirkung haben. Weiterhin träfe die Gewalt sowieso die Falschen. Schlussendlich: Gewalt sei eh das falsche Mittel. Jedenfalls, wenn es nicht um die Themen geht, von denen, die jetzt gerade nach der „Antifa“ rufen. Die Kritik lässt sich natürlich nicht an die Autonome Antifa [F] richten, waren doch ihre Demonstrationen und Aktionen gegen den Opernball, nur so von Militanz geprägt und nicht in Frage zu stellen. An dieser Stelle wäre eine Militanzdebatte auch nicht verkehrt oder zumindest was die Autonome Antifa [F] mit der Zeile vermitteln möchte: „Natürlich kommt es auch zu militanten Aktionen gegen deutsche Konzerne, die weiterhin Geschäfte mit dem Regime machen.“ Aber der entscheidende Punkt (Punkt 3), ist das einfordern von globaler Solidarität von den KritikerInnen. Hier fragen sich bestimmt viele, wo diese Solidarität für andere Konflikte ist, weltweit wie lokal. Auf lokaler Ebene fallen bestimmt unzählige Beispiele ein, wo gerne die solidarische Unterstützung der Linken, der Szene, der „Antifa“ und der GenossInnen sehnlichst gewünscht würde. Wo ist sie, wenn AsylbewerberInnen/ MigrantInnen angegriffen werden, der Staat sich von der besten sozialen Seite zeigt, wenn wieder ein alternativer Freiraum vor dem Aus steht, GenossInnen im Knast oder der Gefangenensammelstelle vor sich hin gammeln müssen oder die Provinzantifa, auch gerne mal Support für ihre Aktion hätte. Ist doch die Situation im ländlichen Raum, meist noch eine Andere und nicht so entspannte wie in der Stadt, aber auch das wird kaum wahrgenommen von jenen, die mehr Inhalt und Gesellschaftskritik von den meist eher jugendlichen Gruppen einfordern, die nur darauf warten endlich aus ihrer Kleinstadt abhauen zu können.


Damit sollen die Probleme nicht verglichen werden mit jenen, die im Iran vorherrschen. Es geht an dieser Stelle um das Einfordern von Solidarität, die wenn sie ernst gemeint ist, bei allen Sachen greifen müsste, die die oben angeführte Wunschvorstellung betreffen (Antifaschismus, Antirassismus, Antisexismus…). Genau hier wäre eine ehrliche Selbstreflexion der KritikerInnen gefragt, wie es selbst mit der Solidarität aussieht. Sowie eine Diskussion über Solidarität und wie diese aussehen kann und warum es sie viel zu selten gibt, wo sie doch so wichtig und notwendig ist. Selbstverständlich muss zu den Ereignissen im Iran Stellung bezogen werden. Die deutsche Regierung und Unternehmen, wie Siemens, haben Konsequenzen aus der Unterstützung des iranischen Regimes zu tragen. Genauso wie die progressiven Kräfte unsere Solidarität brauchen. Dies wird wirklich nur von den wenigsten in Frage gestellt, wenn überhaupt. Dennoch sind die ersten beiden Punkte, die die autonome Antifa [F] für ein Nicht-Handeln der „Antifa“ anführt, nicht einfach nur billige Ausreden. Sie tragen beide auch einen Funken Wahrheit in sich. Es sind ähnliche Argumente, wenn zu anderen Themen auch nicht so gehandelt wird, wie gewünscht und eigentlich notwendig wäre. Zu nennen wären hier Ereignisse in Afrika (Sudan) und Asien, bei denen es auch eher selten zu Stellungnahmen oder anderen Aktionen kommt. Wenig Zeit und zu wenig Wissen zu einem Thema hat wohl jede/r schon erlebt. Und wer versucht gegen möglichst viele/alle Missstände in der Gesellschaft vorzugehen, spürt schnell seine Grenzen. Dabei ziehen sich viele auf Themen zurück, die ihnen mehr liegen, die sie eher ansprechen. Die ganze Szene ist eine einzige Zusammenstellung unterschiedlicher Gruppen mit eigenen Themenschwerpunkten, es gibt die Freiraumleute (Hausis), die AntirassistInnen, reine Antifagruppen, AntikapitalistInnen usw. und noch weiter unterschieden in Theorie- und Praxisorientierte Gruppen, Antideutsche und AntiimperialistInnen…

Die Wunschvorstellung und das Ideal der KritikerInnen, scheint aber derzeit ein Anderes zu sein. Auch wenn es viele personelle Überschneidungen zwischen Gruppen und damit auch Themen gibt, die eine oder andere Person und Gruppe dem Ideal und der Wunschvorstellung näher kommt als andere, ändert es nichts an der momentanen Zersplitterung der „Antifa“/Szene.
Das ist nicht neu, daher ist die Kritik und der Ruf nach der „Antifa“ verwunderlich. Damit ist nicht die inhaltliche Kritik an der „antiimperialistischen Blockade“ eines Teils der „Antifa“ gemeint, denn dies ist durchaus ein richtiger Punkt. Auf diese Kritik ist eine inhaltliche Erwiderung des antiimperialistischen Teils der „Antifa“ wünschenswert und nötig, aber der moralische Zeigefinger scheint fehl am Platz. Zumal auch jene Gruppen und Personen die eine inhaltliche und fundierte Gesellschaftskritik oder Intervention fordern, diese selbst nicht immer liefern. Wir können zu der Kritik der „antiimperialistischen Blockade“ der „Antifa“ keine Antwort geben, da wir diese Ansicht selber nicht vertreten, dies müssten schön jene machen, die sich als antiimperialistische „Antifas“ im klassischen Sinne verstehen. Wir hielten es jedoch auch für wichtig, auf einen Teil der Kritik einzugehen, nämlich dem Wunsch nach Solidarität mit der Opposition im Iran, um daran eine generelle Diskussion, zum Thema Solidarität, anzustoßen. Daher eine Wunschutopie unsererseits (neben der oberen), die Thementeilung der „Antifa“ ist bekannt, genauso wie der geringe inhaltliche Output (da meist doch nur eine Jugendbewegung). Wie wäre es denn, wenn jene, die sich vielleicht mehr mit der Materie beschäftigen, Angebote schaffen. Dann kann immer noch geschaut werden, ob es nur Faulheit, Unwissenheit oder doch alte Ideologiemuster sind, die einen Mangel an internationaler Solidarität zur Ursache haben. Also nicht jammern, sondern selber machen und mit seiner inhaltlichen und praktischen Umsetzung andere mitreißen. Dafür braucht es richtigerweise Linksradikale, also macht euch ran, wenn ihr es denn seid oder sein wollt. Antifa ist, was du daraus machst.
Labellose AntifaschistInnen
[1] CEE IEH #152 LeserInnenbrief: „Deutschland und die Antifa“ (http://www.conne-island.de/nf/152/21.html)
[2] Jungle World Nr. 28, 9. Juli 2009 im Bereich Disko (http://jungle-world.com/artikel/2009/28/35438.html

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