Antifaschistisches Infoblatt Nr. 79

Vernetztes Selbstbewusstsein


Übergriffe, Aufmärsche, Propaganda-Aktionen – die
Neonazi-Szene in Leipzig und Nordwestsachsen ist in den letzten beiden
Jahren immer aktiver geworden. Eine Hauptursache dürfte in der guten
Vernetzung zwischen Stadt und Land zu finden sein.


 
Von »struktureller Unfähigkeit«, wie im
letzten Text zur Region (AIB #70) beschrieben, kann jedenfalls kaum
noch die Rede sein. Die Szene der »freien Nationalisten« bzw.
»nationalen Sozialisten« hat sich trotz personeller Fluktuationen gut
organisiert und verfügt mittlerweile über erhebliches
Selbstbewusstsein. Sogar auf Christian Worch und die von ihm
angemeldeten Aufmärsche glaubt man verzichten zu können: Nachdem die
regionalen Kräfte die Veranstaltung im Juli 2007 offen sabotierten (nur
30 Neonazis waren da), zog Worch alle seine bis 2014 reichenden
Anmeldungen in Leipzig zurück.
Das Selbstbewusstsein gründet vor allem in einer besonderen
Organisationsstruktur. Sie kombiniert die für Nazis notwendige straff
autoritäre Führung mit einer verhältnismäßigen Unabhängigkeit der
unteren Chargen bei der Wahl ihrer Aktionsformen. Die Autoritäten der
Region sind dabei unangefochten Maik »Michi« Scheffler aus Delitzsch
und Thomas »Ace« Gerlach aus Altenburg. Jens Schober aus Leisnig, noch
2005 wichtige Gestalt beim damaligen »Freien Widerstand Leipzig«, wurde
dagegen an den Rand gedrängt und ist wieder in seine Kleinstadt
zurückgezogen.


(Maik Scheffler (links) und Tommy Naumann beim Neonazi-Aufmarsch in Leipzig am 12. Januar 2008)

 

Der heute bundesweit aktive Maik Scheffler war in Delitzsch
bereits in den 90er Jahren als Kameradschaftschef aktiv. Nach einigen
Jahren Pause ist er auch heute wieder derjenige, der bei den Neonazis
in der Region nördlich von Leipzig das Sagen hat. Scheffler war
federführend am Portal »Nationaler Beobachter« beteiligt, das vor allem
Kameradschaften in Sachsen und Sachsen-Anhalt repräsentierte. Und er
ist auch einer der Chefs des »Freien Netzes«, einer Kette von Websites
»freier« Nationalisten von Burg und Merseburg in Sachsen-Anhalt über
Altenburg in Thüringen sowie Delitzsch, Leipzig, Borna, Chemnitz,
Zwickau und Vogtland in Sachsen bis nach Hof in Nordbayern.


 

(Istvan Repaczki (links) und Thomas »Ace« Gerlach bei einem Neonazi-Aufmarsch am 12. Januar 2008 in Leipzig.)




Der zweite Mann in der nordwestsächsischen Doppelspitze,
Thomas Gerlach, hat seine Homebase südlich von Leipzig, im
thüringischen Meuselwitz bei Altenburg. Mindestens ebenso machtbewusst
wie Scheffler, hat er nicht nur die Szene seiner Region im Griff,
pflegt seine bundesweiten Kontakte, baut an der überregionalen Struktur
des »Freien Netzes« mit oder ist auf Hatecore-Konzerten und Spielen des
1. FC LOK Leipzig zu finden, sondern mischt auch in der Thüringer
Neonazi-Politik mit. Seine Unterstützung für den Flügel um Frank
Schwerdt im jüngsten Machtkampf der Thüringer NPD wirft zumindest die
Frage auf, ob Gerlach selbst Ambitionen auf einen NPD-Listenplatz bei
den Landtagswahlen 2009 hegt.

 
Für die zumeist jüngeren Nazis, die unter dem Namen »Freie
Kräfte Leipzig« (FKL) auftreten, können Gerlach und Scheffler getrost
als Führungskader betrachtet werden. Sie geben die politische Richtung
vor, und bei allen größeren Events sowie der Anbindung der FKL ins
»Freie Netz« behalten die beiden die Fäden in der Hand. Abseits dieser
Vorgaben haben die Leipziger jedoch relativ freie Hand, und diese
Selbstständigkeit nutzen sie. Die meisten Texte auf
leipzig.freies-netz.com sind selbst verfasste und auch die meisten
lokalen Aktionen dürften mittlerweile selbst organisiert sein. Dazu
gehören Angriffe auf linke Treffpunkte, Infoveranstaltungen oder Demos,
das Verteilen von Flugblättern vor Supermärkten, Agitprop-Aktionen mit
Eselsmasken, aber auch nächtliche Übergriffe im tendenziell
links-alternativen Stadttteil Connewitz.
 
Gerade bei den gewalttätigen Aktionen agieren die FKL oft zusammen mit
rechten Hooligans aus dem Umfeld von LOK Leipzig. Durch personelle
Überschneidungen verbessert sich die Zusammenarbeit dabei immer mehr.

 
Aber auch die Vernetzung zwischen den FKL und »autonomen
Nationalisten« aus Delitzsch, Altenburg, Borna/ Geithain und
Chemnitz/Zwickau ist enger geworden. Die bisher auffallendste gemeinsam
organisierte Aktion umfasste sogar noch die Strukturen in Ostsachsen
und der Sächsischen Schweiz: Im Rahmen einer vor allem vom »Lausitzer
Aktionsbündnis« forcierten »Aktionswoche« gegen Repression wurden
sachsenweit mit Hilfe von Fahrradschlössern und Sekundenkleber die
Eingänge von Behörden blockiert. Es ist dabei kaum ein Widerspruch,
wenn FKL-Kader auch an den (spärlichen) Aktionen der Leipziger oder
Wurzner NPD teilnehmen. Was irgendwie mit Nationalsozialismus zu tun
hat, wird mitgemacht – sei es ein »Geschichtlicher Gesprächskreis« zum
Thema Rudolf Hess oder eine Fahrt zu den Gräbern der Rathenau-Mörder
Kern und Fischer in Saaleck.

 
Das geht konform mit Scheffler und Gerlach: Auch sie
verfolgen eine ambivalente Politik in Bezug auf die NPD. Sie grenzen
sich zwar oft von der Partei ab, würden aber auch gern von dieser als
gleichwertige Bündnispartner behandelt werden. Das schien zum Greifen
nahe, als sie im März gemeinsam mit dem sächsischen NPD-Landesverband
zu einem Aufmarsch »gegen kriminelle Ausländer« in Leipzig aufriefen.
Auf den Flyern prangte neben dem Parteilogo das Schwarze-Fahnen-Signet
des »Freien Widerstands«. Die Freude währte aber nur kurz: Die NPD
verzichtete auf Rechtsmittel gegen das Verbot der Veranstaltung, ohne
die neuen Partner zu fragen – Gerlach und Scheffler schäumten. So wie
sie im letzten Jahr noch Worch sitzengelassen hatten, fühlten sie sich
nun »verarscht«. Mit vagen Vertröstungen auf angeblich kurz
bevorstehende Enthüllungen durch die NPD ließen sie sich dann aber doch
wieder besänftigen. Das aktuellste Kapitel dieser Beziehungsgeschichte:
Scheffler kandidiert auf der NPD-Liste für den Kreistag Nordsachsen,
und in Leipzig wurde laut Eigenwerbung ein JN-Stützpunkt unter
angeblich reger Beteiligung der »freien Kräfte« gegründet, um im
anstehenden Kommunalwahlkampf mitzuhelfen. Die FKL machen bei dieser
wie bei bisher jeder inhaltlichen politischen Auseinandersetzung, also
weiterhin alles mit, was aus Altenburg und Delitzsch vorgegeben wurde.

 
Dennoch: Dieses Zusammenspiel aus politischer Anleitung durch
die Führungskader Gerlach/Scheffler, der Vernetzung mit anderen Städten
und Regionen und der lockeren Organisation auf lokaler Ebene hat
Zusammenhängen wie den FKL einige Erfolgserlebnisse beschert. Diese
Erfolge haben neue Leute an die Gruppierung herangeführt und den alten
Selbstbewusstsein für weitere Aktivitäten gegeben. Der letzte größere
Erfolg dieser Art war der »Freie-Netz«-Aufmarsch am 12. Januar 2008 in
Leipzig, zu dem ohne jede öffentliche Werbung 320 Neonazis mobilisiert
werden konnten. Nicht nur der Anmelder dieses Aufmarschs, Istvan
Repaczki, sondern auch andere FKL-Kader, wie Christian Trosse, Daniel
Schröder oder Tommy Naumann, treten mittlerweile als Redner und
Mitorganisatoren bei den verschiedensten Neonazi-Aufzügen auf – von
Dessau bis Plauen. Und die in der politischen Arbeit gewachsenen
Kontakte tragen noch weiter. Die FKL tauchten auch bei
Unterstützungs-Veranstaltungen für die angeklagten Mitglieder des
neonazistischen »Schutzbunds Deutschland« vor dem Landgericht Neuruppin
(Brandenburg) auf. Nicht ohne Grund: Das Postfach der »Bewegung Neues
Deutschland«, einer Nachfolge-Organisation des »Schutzbunds«, läuft
zwar auf den ebenfalls dort angeklagten Brandenburger Maik Eminger,
allerdings befindet es sich in Leipzig. 

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