Leipziger Asylpolitik und rassistische Einstellungsmuster

"…insbesondere entfernt von Schulen, Kindergärten und Spielplätzen."

Der Stadtrat beschäftigt sich am 17.06.2009 mit der Zukunft der Unterbringung von Asylsuchenden in Leipzig und wird eine mehr als fragwürdige Beschlussvorlage samt Begründung dazu erhalten.

Auch die tolerante und weltoffene Messemetropole Leipzig bekommt die Wirkung der restriktiven und ablehnenden Asylgesetzgebung Deutschlands zu spüren. Denn immer weniger Asylsuchende werden der Stadt Leipzig zugewiesen. (1) Im Jahr 2007 waren das 66 Ankommende bei insgesamt 404 Menschen in Sammelunterkünften, 2008 dann noch 50 bei 329. 

Nun kommen mehrere Probleme zusammen: Die Auslastung der beiden Sammelunterkünfte mit einer Gesamtbettenzahl von 550 liegt bei rund 50%. Die Stadt Leipzig geht davon aus, dass sich die Zahl der zugewiesenen Asylsuchenden in den kommenden Jahren nicht erhöhen, sondern auf dem Stand der letzten Jahre einpegeln wird. (2)

Mit fragwürdigen Kriterien auf der Suche nach einem neuen Objekt

Damit werden um die 300 Betten benötigt, die in der Torgauer Straße vorhanden sind. Jedoch läßt der Zustand des Gebäudes, sowohl was Renovierungsarbeiten, als auch Sanitär- und Heizungsinstallation angeht, mehr als zu wünschen übrig. Jede Jugendherberge ist ein 5-Sterne-Hotel dagegen. Eine grundlegende Sanierung wäre Vorbedingung für die weitere Nutzung des Gebäudes, würde aber das angedachte Budget der Stadt sprengen. Außerdem hat sich wohl ein Investor für das Gelände interessiert, was beim Verkauf des Geländes einen zusätzlichen Obolus einbringen würde.

Daher hat sich die Stadt auch nach anderen Objekte umgesehen. In den Auswahlkriterien hierfür spiegeln sich auf bürokratische Art die Einstellungsmuster wider, auf denen zum einen die bundesdeutsche Asylgesetzgebung aufbaut und mit denen zum anderen auch einige Bewohner der Stadt ihren Alltagsrassismus bestreiten: 

  • der Standard der gesuchten Fläche solle einfach bis mittel sein,
  • der Zugang zum Objekt soll zurückgesetzt sein (sprich abseits der bürgerlichen Wahrnehmung),
  • das Grundstück soll eingezäunt werden können,
  • es soll nicht unmittelbar in einem Wohngebiet liegen, insbesondere weit entfernt von Schulen, Kindergärten und Spielplätzen.

Das ideale Grundstück sähe dann so aus: In weiter Ferne zur nächsten Wohnanlage, versteckt in einem kleinen Wäldchen, eingezäunt und mit einem kleinen Wachschutzposten am Eingang. Und bloß weit weg von "unseren" Kindern! Spätestens hier darf einem ein kleines Stückchen Kotze den Hals hochwandern. Mit welcher Dreistigkeit hier einige Beamte bzw. Angestellte im öffentlichen Dienst rassistische und xenophobe Motive als Grundlage ihrer Arbeit ausleben und damit zum Teil auch nazistischen Forderungen nachkommen bzw. eben solche Parolen bedienen, ist nicht mal mehr grenzwertig.

"Bloß nicht bei uns!" 

Entsprechend fielen auch alle Optionen bis auf ein Gelände in der Wodanstraße durch. Während leerstehende Schulgebäude in der Stadt aufgrund der hohen Umbaukosten ungeeignet erscheinen, wird ein Objekt in der Riebeckstraße mit Hinweis auf Wohnhäuser in der Nähe abgelehnt. Ganz hart wird dann die Ablehnung eines ehemaligen BfB-Objektes in der Frederikenstraße in Dölitz: ungeeignet aufgrund der Nähe zum Erholungsgebiet Silbersee und umliegenden Spielplätzen. 

Für die angestrebte Realisierung in der Wodanstraße haben die zuständigen Menschen dafür nochmal tief in die Kiste mit dunklen Requisiten ostdeutscher Asylpolitik gegriffen: 1992, in der Hochzeit von rassistischen Übergriffen in den damals noch neuen Bundesländern (Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, …), stellte die Stadt Leipzig Bau-Container auf ein Grundstück in der Raschwitzer Straße (direkt im Auenwald) und brachte dort Asylsuchende unter. Die Baugenehmigung wurde damals mit einer Polizeiverfügung erteilt mit Hinweis auf einen Unterbringungsnotstand. (3)

Da eine solche "Systembauweise" den zuständigen Menschen der Stadt überaus praktisch erscheint, schlagen sie diese auch für die neu zu errichtende Unterkunft vor und werben mit der praktischen Rückbaufähigkeit einer solchen Anlage…

Hier gibt es die Dokumente zur Einsicht, welche in der kommenden Stadtratssitzung am 17.06.2009 vom Oberbürgermeister Jung dem Rat zur Beschlussfassung vorgelegt werden soll:

Beschlussvorlage des Oberbürgermeisters (pdf)

Begründungstext der Vorlage (pdf) 

Liste der bearbeitenden Gremien

 

Willkommen in Leipzig, wenn du einen deutschen Pass besitzt oder schnell wieder verschwindest, da du Tourist bist.

Rein mit dir ins Lager und halte dich fern von uns, unseren Naherholungsgebieten und Wohnräumen, unseren Schulen, unseren Kindern und unseren Spielplätzen – wenn du nach Asyl zu schmarotzen wagst!


(1) Wird in Deutschland Asyl beantragt, läuft das Verfahren wie folgt: Zunächst wird der Mensch in eine der ??? zentralen Auffangeinrichtungen eingewiesen. Dies sind zumeist abgezäunte Gelände mit eigener medizinischer Versorgung und Polizeistation. Nach rund 3 Monaten erfolgt über einen festgelegten Schlüssel die "Zuführung" des Menschen an eine bestimmte Gemeinde bzw. in eine der lokalen Sammelunterkünfte. Das Stadt-, Gemeinde- bzw. Kreisgebiet darf dann im Rahmen der Residenzpflicht nur noch mit behördlicher Genehmigung vom Asylsuchenden verlassen werden. Eine dezentrale Unterbringung kann erst nach der Anerkennung des Asylstatus oder der Aussetzung der Abschiebung benatragt werden. Bis dahin besteht der Zwang des Aufenthalts in Sammelunterkünften. In Leipzig sind aktuell 485 Menschen dezentral untergebracht. Für mehr Informationen: www.proasyl.de

(2) Es existieren zwei Sammelunterkünfte für Asylsuchende in Leipzig. Die Unterkunft Lilienstraße steht in Grünau: Von 250 Betten sind derzeit 109 belegt, zumeist mit Familien bzw. Alleinerziehenden. Hier wohnen 31 Kinder. Die zweite Unterkunft ist in der Torgauer Straße: Von 300 Betten sind derzeit 175 belegt. Hier wohnen 4 Kinder, 3 Frauen und 167 Männer.

(3) Auch dieses Gelände hat man sich erneut angeschaut und dabei festgestellt, dass die erneute Errichtung einer Unterkunft an dieser Stelle nicht genehmigungsfähig wäre.

 

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