LVZ-Online vom 27.08.08

„Albtraum ohne Ende“
 

Michelles Familie meldet sich erstmals zu Wort / Schwer bewaffnete
Polizei durchkämmt Industrieareal

Eine Woche, nachdem ihre Tochter tot aufgefunden wurde, haben sich
gestern Michelles Eltern erstmals an die Öffentlichkeit gewandt. Die
Fahndung der Polizei konzentrierte sich unterdessen auf eine
Industriebrache in Stötteritz. 50 Bereitschaftspolizisten durchkämmten
das Gelände. Auffällig: Sie waren diesmal mit Maschinenpistolen
ausgerüstet. Offenbar war nicht ausgeschlossen, dass sich der Mörder in
den Fabrikgebäuden versteckt hält.

Die Eltern von Michelle (37 und 33 Jahre) und deren Brüder (5 und 11)
werden weiterhin außerhalb von Leipzig von der Öffentlichkeit
abgeschirmt. Psychologen und die Opferberatung Weißer Ring betreuen sie.
Über ihre Anwältin Ina Alexandra Tust dankten sie gestern für die große
Anteilnahme. „Die gesamte Familie fühlt sich wie in einem Albtraum ohne
Ende“, sagte Tust, die bereits die Familie des im Februar vorigen Jahres
missbrauchten und getöteten Mitja juristisch vertreten hatte. Die
pathologischen Untersuchungen in der Rechtsmedizin seien abgeschlossen,
so dass Michelle beerdigt werden könne. Dies solle auf ausdrücklichen
Wunsch der Familie nur im engsten Kreis unter Ausschluss der
Öffentlichkeit stattfinden. Die Eltern distanzierten sich zugleich von
den rechtsradikalen Aktivitäten des Onkels von Michelle. Dieser war bei
Neonazi-Demonstrationen im Zusammenhang mit Michelles Tod als Redner
aufgetreten (die LVZ berichtete).

Die Polizei konzentriert sich bei ihrer fieberhaften Suche weiterhin auf
jene Sachen, die Michelle am Tag ihres Verschwindens bei sich trug,
jedoch nicht bei der Leiche gefunden wurden. Ermittler halten es
keineswegs für einen Zufall, dass pinkfarbene Kapuzenjacke und
Sporttasche des achtjährigen Mädchens verschwunden sind. Womöglich, so
die Hoffnung der Soko, finden sich darauf Fingerabdrücke und DNA-Spuren
des Täters. Allerdings konnten beide Gegenstände auch gestern nicht
gefunden werden.

Und das, obwohl Bereitschaftspolizisten seit den frühen Morgenstunden
auf dem Areal an Oschatzer Straße/Melscher Straße – das ist etwa 600
Meter entfernt vom Weiher, in dem vor einer Woche Michelles Leiche
gefunden worden war – jeden Stein umdrehten. Dass sie dabei im
Unterschied zu Suchaktionen an den Tagen zuvor Maschinenpistolen trugen,
begründete Polizeisprecher Uwe Voigt knapp mit „Eigensicherung“. Ob
Ermittlungen einen Verdacht ergeben hatten, dass sich der Mörder auf dem
Gelände versteckt hält, mochte er nicht bestätigen. An der Suche waren
auch Taucher beteiligt, die einen 20 mal 10 Meter großen Löschteich
untersuchten. Rund um den Fundort der Leiche sind weiterhin einzelne
Bereiche abgesperrt, die in den nächsten Tagen geprüft werden sollen.
Frank Döring

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Verhandlung zum Tönsberg Leipzig

 

Kleiner Affront am Landgericht Leipzig

Am 28.8.2008 sollte durch die Zivilkammer des Landgerichtes Leipzig das lang erwartete Urteil in Sachen Räumung der Thor-Steinar-Filiale "Tönsberg" in der Richard-Wagner-Straße verkündet werden. Insbesondere die Vermieterin hatte im Zuge der Verhandlung am 3.7. auf ein zügiges Urteil gedrängt und einen Vergleich — die Beendigung des auf 3 Jahre angelegten Mietvertrages durch die Zahlung von 200.000 Euro an Mediatex vorzeitig zu beenden — abgelehnt.

Die zuständige Richterin wartete am Morgen des 28.8. mit nur einem Satz auf: "Es ergeht ein Beweisbeschluss." Das bedeutet, dass neue Beweise im Verfahren sind und die Verhandlung fortgesetzt wird.

Die spärliche Auskunft der Richterin weckt große Enttäuschung. Nicht nur, dass es weiterhin keine Klarheit bezüglich der Zukunft des "Tönsberg" — ein Laden der die in der rechten Szene beliebte Marke Thor Steinar verkauft — gibt, die Öffentlichkeit wird zudem im Dunkeln über den Fortgang des Prozesses gelassen. Und das nachdem über 11 Monate
breite Proteste gegen die Existenz des Ladens stattgefunden haben. Das Landgericht sollte über eine bessere Öffentlichkeitsarbeit nachdenken. Die kritische Beobachtung des Verfahrens sowie die Proteste gegen den
Laden werden weitergehen.

LVZ-Online (28.08.08) – Wieder kein Urteil im Streit um „Thor Steinar“ Laden in Leipzig

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Kühe – Schweine – Ostdeutschland

CDU in Nordsachsen will mit NPD zusammenarbeiten – Regionalausgabe der LVZ druckt unkommentiert Pressemitteilung der NPD

– es wächst zusammen, was zusammen gehört – 

 Laut Meldungen von Spiegel-Online, NPD-Blog.info und taz kocht die Braune Suppe in Nordsachsen derzeit mal wieder ordentlich auf. Der Fraktionsvize der CDU-Fraktion im Kreisparlament Nordsachsen positionierte sich folgendermaßen zu vier neuen NPD’lern im Parlament: "Nein, Anträge der NPD werde ich nicht einfach ablehnen, nur weil die NPD sie stellt" und bekräftigt, dass die NPD ja schließlich eine demokratisch gewählte Partei sei.

Unterdessen hat die Torgauer Zeitung, ein Regionalblatt der Leipziger Volkszeitung ungekürzt und unkommentiert eine komplette Pressemitteilung der NPD abgedruckt. Als Erklärung: der verantwortliche Redakteur sei überarbeitet gewesen und der, der sich in Sachen Rechtsextremismus auskenne, war zu der Zeit im Urlaub…

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Lizzy-Online 27.08.08

Rechts, Links – Oben, Unten? Michelles Tod, Reudnitzer Reaktionen und die Medien

Michael Freitag, Kommentar Langsam
beginnt es zu kochen im Topf und ein paar junge Männer und die Medien
haben ihr Thema gefunden. Das Gemisch in Reudnitz/Thonberg,
Volkmarsdorf und Anger Crottendorf ist eigentlich schon lange bekannt
und bekommt nun eine öffentliche Bühne – der Slogan "Todesstrafe für
Kinderschänder“ auf Imagetour durch die Medien.

Wer kann,
zieht weg. Nicht erst seit dem tragischen Unglück um Michelle und den
nun skandierten Losungen nach gezielter Tötung von Sexualstraftätern.
Der Aderlass in den Stadtteilen Volkmarsdorf, Reudnitz, Thonberg und
Anger Crottendorf hat mit der Wende 1989 begonnen und so verändert sich
der Leipziger Osten stetig – abwärts.

Im ehemaligen Lilo Herrmann-Park stehen noch ein paar alte Bäume,
Kinderecke, Spielplatz und Heimat auch für den Autor. Die Idylle im
Stüntzer Park in Anger-Crottendorf, die vielen Hinterhöfe, der Weg
entlang an den Kleingärten Richtung Stötteritzer Wäldchen mit seinem
Rodelberg – zu DDR-Zeiten ein kindliches Freizeitparadies. Eine fest
gefügte Welt ohne große Risiken – im Sommer mit dem Roller auf der
Zweinaundorfer Straße unterwegs, nachmittags ein Stück selbst
gebackener Pflaumenkuchen zu Hause. Früher war alles besser? Sicher
nicht, aber einige Entwicklungen sollten zu denken geben.

Auf den einst mit Bäckern, Eisdielen, Bekleidungsgeschäften und
Tierhandlungen gepflasterten Zweinaundorfer, Wurzner und der Dresdner
Straße ist Ruhe eingekehrt. An großen Kreuzungsbereichen findet man
ohne lange Suche zugenagelte Schaufenster. Gar nicht so weit von der
Leipziger Innenstadt entfernt, ist hier bis auf die Natur vieles nicht
mehr so idyllisch.

Wer heute in einem der genannten Stadtteile geboren wird,
versteht schnell, dass die bunten Träume des Kapitalismus meist nur für
die anderen gelten – wer hier startet, hat einen weiten Weg vor sich.
Die Eltern sind diesen meist schon gegangen, haben ihre Abwicklung und
die Zurückweisungen bereits erlebt und geben diese Haltungen nun teils
durch Duldung, teils durch stille Unterstützung an ihre Kinder weiter.

Übrig bleiben hier die, welche nicht die viel gepriesene,
möglichst weltweite Flexibilität und einen Uniabschluss im Ausland
besitzen und sich dennoch gern an der Gesellschaft beteiligen würden.

Gründe für die neuen, merkwürdigen Montagsdemonstrationen in der
Heldenstadt und platten Parolen des Hasses, während der Bürger
zumindest still zu- oder wegschaut? Es ist viel leichter, gegen einen
Christian Worch und seine 200 Hilfsdemonstranten aufzustehen, als sich
mit den eigenen Söhnen zu befassen.

Betrachtet man die Zahlen des offiziellen Quartalsberichtes
2/2008 der Stadt Leipzig, entsteht der zwingende Eindruck eines
sozialen Brennpunktes, den man im Rathaus und in der sächsischen
Landesregierung in Prozenten kennt. Denn während man in Dresden bei der
alljährlichen Finanzmittelvergabe im Land Sachsen scheinbar in Leipzig
weiterhin auf Wunderheilungen bei einem kommunalen Milliardenloch
setzt, spielen die Arbeitslosen-Prozente einen gefährlichen
Statistik-Skat im Leipziger Osten miteinander.

Volkmarsdorf
   
Empfänger “ALG II" 48,5 %
"ALG I“ 24,2 %
Anger Crottendorf
   
"ALG II“ 32,4 %
"ALG I“ 16,0 %
Reudnitz/Thonberg
   
"ALG II“ 26,5 %
"ALG I“ 12,2 %

Zusammengefasst
– jeder Zweite der 15- bis 65-Jährigen ist hier ohne Arbeit oder ist
bereits zum Dauer-TV verdammt, weil er auch, bei gleichbleibender Lage
der Dinge, keine mehr bekommen wird. In Volkmarsdorf scheinen bei 72,7
Prozent Gesamtarbeitslosigkeit die Lichter langsam ganz zu verlöschen –
hier wurde der Skat fast vollständig ausgereizt.

Die neuen Montagsdemos in Reudnitz?
Das eigentliche Menschsein beginnt mit dem Gefühl, gemocht, gebraucht und verstanden zu werden.

Die Hauptemotion der jungen Demo-Männer samt angeschlossenen
Lebensabschnittsgefährtinnen ist Wut, auf die nie vorhandenen Chancen
im Leben und das nicht erst seit einer Woche. Ein Leben, in welchem die
Wahrheiten für viele hier so kompliziert geworden sind, der Starke den
Schwachen frisst und tagtäglich in der Werbung das läuft, was sie nicht
haben können. Also wünscht und sehnt man sich auf die starke Seite,
wenigstens in die Nähe einer Macht statt Ohnmacht, Kraft statt Schwäche
und Lautstärke gegen stilles Wegducken im Perspektivloch. Bei einigen
kommt noch das spät-pubertäre Aufbegehren gegen die Eltern dazu und
fertig ist der böse Nazi. Die geistigen Brandstifter jedoch sitzen
längst als NPD notdürftig getarnt und demokratisch gewählt im
sächsischen Landtag und diktieren von dort die politische Richtung
ihrer Anhänger.

Den Weg haben die jungen Männer um ihren derzeitigen Reudnitzer
Vorzeige-Chef Istvan R., dem o­nkel der verstorbenen Michelle, bereits
beschritten und vor vielen Monaten begonnen, das Gebiet aktiv zu
bearbeiten. Aggressives Grundverhalten gegen Andersdenkende spielte und
spielt dabei wie immer eine Rolle. Sinnentkernte Parolen, wie
"LVZ-Judenblatt“ oder "kriminelle Ausländer raus“ klingen ähnlich
einfach wie "Todesstrafe für Kinderschänder“ und bergen ebenso wenig
Lösungen in sich, wie das tausendjährige Reich auch nur im Ansatz so
lang gehalten hat, wie der Name weismachen könnte.

Junge Menschen, die schon vor Jahren aufgehört haben, den Medien
zu glauben, ihre Blogs mit holprigem Deutsch füllen, sich von
Politikern, Beamten und der Gesellschaft ganz pauschal belogen und
verlassen fühlen. Und so kann man den Banner-Spruch der so genannten
Freien Kräfte oder auch Nationale Sozialisten: "Keine Zukunft ohne uns“
auch als eine Bitte um Teilhabe verstehen – wenn auch schwer
deplatziert und überlaut ausgesprochen.

Immer eine Portion Tabubruch dabei und alle regen sich auf – ein
paar Meter weiter lungert bereits die erste Gewaltstraftat, die sie
selbst begehen und der Kreis schließt sich. Folgerichtig ist auch ein
Spiegel TV-Bericht über die "Leipziger Nazis", wie er am Montag über
die Mattscheibe ging, für sie nur noch Anlass zu Spott und Häme. Da
sprechen Medienvertreter im TV, die schon lange in einer anderen
Realität als sie selbst leben.

Heimliche Freude über die endlich erfolgte Wahrnehmung und ein
klein wenig Stolz über die erfahrene Aufmerksamkeit schwingt leise mit.
Wenn schon nicht gemocht und respektiert, so doch zumindest gesehen und
berüchtigt.

Was das alles noch mit dem tragischen Verbrechen an Michelle zu tun hat?

Nichts.

Für Spiegel TV genau so wenig – die oberflächlichen Bilder ohne
Umgebungsreportage sind im Kasten – wie für Istvan R., der sich in nur
scheinbar biblischer Gerechtigkeit übt. Auge um Auge, Zahn um Zahn, so
wie er eben das Leben kennt.

Und Leipzig macht mal wieder unfreiwillig als "Nazistadt" die
Runde, obwohl es eigentlich darum geht, einen Mörder zu stellen.
Leipziger Vielfalt, nur außerhalb von Bachstadt und Wave-Gotik-Treffen.
Mal sehen, ob der Statistik-Skat im Leipziger Osten weitergeht, wenn
sich der Sturm verzogen hat und der Täter (hoffentlich sehr bald)
gefasst ist.

**** Pressemeldung der Stadt Leipzig vom 26. August 2008 ****
Oberbürgermeister verurteilt rechtsextreme Aktivitäten auf das Schärfste

Oberbürgermeister
Burkhard Jung hat sich heute erneut zu Aktivitäten von
rechtsextremistischen Gruppen im Zusammenhang mit dem Mord an der
achtjährigen Michelle geäußert: „Die Vereinnahmung des schrecklichen
Mordes durch Rechtsextremisten ist abscheulich und menschenverachtend.

Mit platten populistischen Parolen wird versucht, den Zorn über
die Tat und die Trauer der Bürgerinnen und Bürger zu
instrumentalisieren und für die politischen Ziele der Rechtsextremisten
zu missbrauchen. Dies ist eine Verhöhnung des Opfers und aller
Leidtragenden. Ich verurteile diese Aktivitäten auf das Schärfste.

Ich bitte die Bürgerinnen und Bürger auf die Ermittlungsarbeit
der Polizei zu vertrauen und der rechtsextremistischen Vereinnahmung
entgegenzutreten.“

Spiegel TV

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LVZ-Online vom 27.08.08

 "Eine üble Geschichte“ – Kritik an Instrumentalisierung des Falls Michelle

Leipzig/Dresden. In Sachsen regt sich Kritik an der
Instrumentalisierung des Falls Michelle durch Rechtsextreme. „Das Leid
von Menschen für politische oder wie auch immer geartete Ziele zu
missbrauchen, ist eine üble Geschichte“, sagte der frühere Pfarrer der
Nikolaikirche Leipzig, Christian Führer. Staatskanzleichef Johannes
Beermann (CDU) sagte angesichts der Pläne von Rechten, künftig in der
Tradition der Leipziger Montagsdemonstrationen zur Wendezeit für die
Todesstrafe bei Sexualverbrechen demonstrieren zu wollen: „Das ist
bodenlos.“ Ähnlich äußerte sich der Vize-Ministerpräsident und
Wirtschaftsminister Thomas Jurk (SPD).

Kein Patent auf Montagsdemos

Wo der Ruf nach härteren Strafen auftauche, setzten sich die
Neonazis populistisch drauf, sagte Pfarrer Führer. „Sie versuchen, auf
jede Weise Aufmerksamkeit zu erregen, die Stimmung in der Bevölkerung
zu ihren Gunsten abzuschöpfen.“ Die angekündigten Kundgebungen seien
keinesfalls mit den Montagsdemonstrationen nach dem Friedensgebet in
der Nikolaikirche gleichzusetzen, so Führer. „Damit haben sie nichts zu
tun.“ Zwar sei man vor Missbrauch nicht geschützt, da es kein Patent
auf Montagsdemos und Friedensgebete gebe. „Bis jetzt aber scheuen sich
Neonazis vor der Nikolaikirche“, so Führer, der die Friedensgebete im
Wendeherbst 1989 mitinitiiert hatte.

„Mir verschlägt es einfach die Sprache, das ist einfach widerlich“,
sagte Staatskanzleichef Beermann in Dresden. Die Montagsdemonstrationen
hätten sich gegen Gewalt und Willkür gerichtet, die Menschen hätten
damit Demokratie eingefordert. Nun sollten sie offenbar als „Vehikel
für primitive Politagitation genutzt werden“. Minister Jurk nannte die
Pläne der Rechten „abstoßend und ungeheuerlich“.

Am Montag hatten gut 500 Demonstranten – darunter laut Polizei mehr als
300 Rechtsextreme – in Leipzig härtere Strafen für Kinderschänder
gefordert. Der Protestzug startete vor der Grundschule des getöteten
Mädchens und endete am Stötteritzer Wäldchen, wo die Leiche der
Achtjährigen gefunden worden war.

Aus dem Zug wurden Rufe laut wie: „Keine Gnade für Kinderschänder“ und
„Kinderschänder – Todesstrafe“. Etwa hundert Teilnehmer trugen
uniformähnliche Kleidung, wie sie in der rechtsextremen Szene üblich
ist.

Auch im Fall des ermordeten Mitja hatten Rechtsextreme die Situation
auszunutzen versucht: Sie verteilten Flyer, in denen sie ihren Parolen
freien Lauf ließen. So wurde gegen Ausländer und so genannte
„Volksentfremdete“ gehetzt. Mitglieder der Szene demonstrierten damals
mehrmals.

Michelles Onkel gehört Freien Kräften Leipzig an

Dass die rechtsextreme Szene ausgerechnet im Fall Michelle
wieder massiv aktiv wurde, ist kein Zufall: Der Onkel des ermordeten
Mädchens, Istvan R., zählt zu den führenden Köpfen des
Neonazi-Netzwerks Freie Kräfte Leipzig. Allein in diesem Jahr trat er
bei zahlreichen Rechtsextremen-Kundgebungen, etwa in Reudnitz, Grünau
und Großzschocher als Anmelder auf.

Bereits bei den Worch-Demos in früheren Jahren sichteten ihn
Staatsschützer in den ersten Reihen des Marschblocks. Vor einem Monat
stand er im Zusammenhang mit einem Überfall auf das alternative
Jugendzentrum Bunte Platte in Grünau vor Gericht. Wegen des Vorwurfs
der Beleidigung wurde er damals zwar aus Mangel an Beweisen
freigesprochen. Allerdings muss er sich voraussichtlich im November
wegen der bei diesem Überfall begangenen Körperverletzung verantworten.

Linke plant Gegenkundgebung

Die Linke in Sachsen hat am Dienstag Leipzigs Oberbürgermeister
Burkhard Jung (SPD) kritisiert, weil er nicht offensiv
rechtsextremistischen Aktionen im Zusammenhang mit dem Fall Michelle
entgegentrete. Es sei längst der Zeitpunkt erreicht, an dem auch die
Stadt sich äußern müsste, wenn auf Demonstrationen von Neonazis die
Todesstrafe für Kinderschänder gefordert werde, sagte das
Landesvorstandsmitglied Juliane Nagel. „Jetzt sollte auch der
Oberbürgermeister etwas dazu sagen.“

Nagel sagte, Bürgerinitiativen würden derzeit überlegen, am kommenden
Montag eine Gegenkundgebung zu organisieren. Dabei wolle man ebenfalls
die Ängste der betroffenen Eltern und Bürger ernst nehmen und darauf
eingehen, gleichzeitig aber eine deutliche Abgrenzung zu den
Rechtsextremisten erreichen.

Am frühen Dienstagnachmittag reagierte
dann das Stadtoberhaupt: „Die Vereinnahmung des schrecklichen Mordes
durch Rechtsextremisten ist abscheulich und menschenverachtend. Mit
platten populistischen Parolen wird versucht, den Zorn über die Tat und
die Trauer der Bürgerinnen und Bürger zu instrumentalisieren und für
die politischen Ziele der Rechtsextremisten zu missbrauchen. Dies ist
eine Verhöhnung des Opfers und aller Leidtragenden. Ich verurteile
diese Aktivitäten auf das Schärfste", hieß es in der Mitteilung der
Stadt. Jung bat die Leipziger außerdem, auf die Ermittlungsarbeit der
Polizei zu vertrauen und der rechtsextremistischen Vereinnahmung
entgegenzutreten.

Angemeldet hatte die Demonstration vom Montag Simone Thalheim, die in
dem Viertel von Michelles Familie wohnt. Eine Initiative aus Eltern und
Anwohnern habe sich spontan zusammen geschlossen, so Thalheim. Es gehe
ihr aber nicht nur um den Fall der getöteten Michelle, sondern um die
generelle Sicherheit der Kinder und den Umgang mit Sexualstraftätern.

Sie bestätigte, dass "rund 100 Leute aus der rechtsextremen Szene" an
dem Protestzug teilnahmen und dabei auch mit Megafonen Anweisungen für
Schweigeminuten während der Kundgebung gaben. "Die Forderung der
Todesstrafe lehnen wir aber ab", sagte Thalheim. Sie habe deshalb am
Montagabend auch dafür gesorgt, dass diese Rufe schnell wieder
verstummten.

Die Demonstrationen sollen von nun an wöchentlich am Montagabend
stattfinden. Geplant ist eine Strecke über die Zweinaundorfer Straße,
die Breite Straße und die Dresdner Straße bis zum Augustusplatz, wo die
Demonstration jeweils mit einer Kundgebung beendet werde, so Thalheim.

Kinderschutzgruppe geplant

Am kommenden Sonnabend solle in Leipzig zudem eine Kinderschutzgruppe
gegründet werden. Vorbild ist die Berliner Organisation "Carolin". Der
Verein hatte sich 2005 gegründet. Damals war die 16-jährige Carolin aus
dem Ostseebad Graal-Müritz in einem Wald vergewaltigt und erschlagen
aufgefunden worden. Die Elterninitiative aus der Bundeshauptstadt
betreibt Prävention und Aufklärung und hilft Thalheim zufolge beim
Aufbau der Leipziger Vereinigung.

Zusätzlich zum Spendenkonto der Stadt Leipzig (Konto 1 000 000 040,
Sparkasse Leipzig, Bankleitzahl 860 555 92, Verwendungszweck:
Michelle), richtete auch die Elterninitiative ein Konto zugunsten der
Familie von Michelle ein (Konto 10 88 100, Bank für Sozialwirtschaft,
Bankleitzahl 100 20 500, Verwendungszweck: Spende für Michelle).

mro, sb, kol, F. D./dpa

© LVZ-Online, 27.08.2008, 13:40 Uhr

 

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Pressemeldung der Stadt Leipzig vom 26. August 2008

Oberbürgermeister verurteilt rechtsextreme Aktivitäten auf das Schärfste

Oberbürgermeister
Burkhard Jung hat sich heute erneut zu Aktivitäten von
rechtsextremistischen Gruppen im Zusammenhang mit dem Mord an der
achtjährigen Michelle geäußert: „Die Vereinnahmung des schrecklichen
Mordes durch Rechtsextremisten ist abscheulich und menschenverachtend.

Mit platten populistischen Parolen wird versucht, den Zorn über
die Tat und die Trauer der Bürgerinnen und Bürger zu
instrumentalisieren und für die politischen Ziele der Rechtsextremisten
zu missbrauchen. Dies ist eine Verhöhnung des Opfers und aller
Leidtragenden. Ich verurteile diese Aktivitäten auf das Schärfste.

Ich bitte die Bürgerinnen und Bürger auf die Ermittlungsarbeit
der Polizei zu vertrauen und der rechtsextremistischen Vereinnahmung
entgegenzutreten.“

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Reudnitz ist Leipzig ist Deutschland

Von erhöhtem Demonstrationsaufkommen, dem Bürgermob und gefährlichen Unsicherheiten.

Geschafft. Immerhin. Nachdem die Zeit verstrich und selbst der Landesvorstand der Linken in Sachsen ihn darauf hinweisen musste, äußerte sich der oberste Bürger der Stadt, Burkhard Jung, am Dienstag zum massiven Nazi-Aufkommen nach dem Auffinden des getöteten Mädchens. Ebenso wie Pfarrer a.D. Christian Führer und Staatskanzleichef Johannes Beermann verurteilt er die Instrumentalisierung und bittet um Vertrauen in die ermittelnden Beamten (LVZ vom 27.08.08). Zudem verweisen die beiden letztgenannten auf die "Tradition der Montagsdemonstrationen" in Leipzig und verbitten sich eine Vereinahmung. Auf lokaler Ebene schaffte es bisher allerdings nur die Leipziger Internetzeitung, einen Kontext herzuleiten aus der sozialen und wirtschaftlichen Situation in den Stadtteilen Reudnitz, Anger-Crottendorf und Volkmarsdorf, dem massiven Instrumentalisieren der Situation durch Nazis und der Erscheinung eines wütenden, erschreckenden und abstoßenden Bürgermobs.

Dieser Bürgermob soll nun jeden Montag in Erscheinung treten, als Montagsdemonstration von der Schule in der Martinstraße bis zum Augustusplatz ziehen und nach eigenem Bekunden Druck ausüben. Auf wen? Auf die Staatsregierung in Dresden. Denn die müsse ja jetzt nun endlich mal was machen: für mehr Sicherheit auf den Straßen sorgen, die ganzen Sexualstraftäter wegsperren (oder am besten gleich schlachten, wenn es nach dem Willen einiger Nazis gehen würde) und überhaupt, "die da oben" müssten sich doch endlich mal von von ihren platten und vollgefressenen Hintern erheben. Dass "die da oben" in Dresden recht wenig mit Strafgesetzgebung zu tun haben, scheint der "Bürgerinitative aus Anwohnern und Betroffenen" ein bissl wie entgangen zu sein. Aber immerhin, da scheint ein Adressat gefunden, auf den Frust und Hilflosigkeit projeziert werden können. Und Montags auf die Straße zu gehen, das war in Leipzig schon immer schick, und im Fernsehen kommen eh um die Zeit nur die ewig gleichen Serien. Mit dem Vergehen an einem kleinen Mädchen hat das alles recht wenig zu tun. Zwar stehen massiv Kerzen und Plüschtiere und Bilder an der Schule, die Demonstrationen, die bisher stattgefunden haben, forderten jedoch nichts anderes als härtere Strafen bzw. die Todesstrafe für Kinderschänder. Dass eine Strafrechtsverschärfung im Allgemeinen äußerst selten einen Kriminalitätsrückgang nach sich zog, das gehört ebenfalls in die Tüte mit Fakten, die im Leipziger Osten wohl niemand öffnen möchte. Schließlich muss man ja was machen, man ist ja immerhin das Volk. Und genau an der Stelle klackt es bei jedem Nazi, denn wo das Volk ist, da muss der auch hin. Und wer kein Selbstbewußtsein hat, der ist sich zumindest seiner Volkszugehörigkeit bewußt.

 Der Umgang mit der Situation ist heikel, das Themenfeld mehr als brisant. So sehr, dass es einige Tage dauerte, bis sich die üblichen Verdächtigen äußerten, wohl in der Hoffnung, das Reudnitz nur mal wieder kurz braun aufflackert und dann wieder Ruhe gibt. Und niemand scheint die Lösung an der Hand zu haben, wie mensch sich einer Frau Thalheim und Nazis entgegentreten kann, die ja eigentlich im Namen einer getöteten 8jährigen marschieren. Am Dienstagabend trafen sich fast alle Bürgerinitiativen, die sich der Naziproblematik verschrieben haben, um ein gemeinsames Vorgehen zu planen. Bei der geplanten Vorgehensweise darf einem ruhig mal der Hals platzen: der Distanzierung von der Todesstrafe durch Simone Thalheim folgend (sie war Anmelderin am Montag), möchte man das Gespräch mit ihr suchen. Und sollte sich herausstellen, dass die Frau Thalheim nun plötzlich doch ein Problem mit Nazis hat (sie äußerte, dass sie "… keine Probleme mit den Rechten hätte, selbst nun aber auch nicht rechts sei."), dann wolle man sich der Kundgebung anschließen, um Nazis damit den Agitationsraum zu nehmen. Wenn nicht, dann allem Anschein nach eine eigene Veranstaltung im Nikolai-Kirchhof ansetzen.

Kommen wir zurück zur Demonstration vom vergangenen Montag und sehen uns das ganze in 1,2,3,4,5,6 Videos auf youtube an. Selbst wenn sich eine Frau Thalheim ihrer Rechenkünste besinnt und nicht nochmals 200 Nazis übersieht, und selbst wenn sie sich von der Todesstrafe distanziert, dann werden es wohl wieder die gleichen Teilnehmenden sein, die am Montag als Mob durch die Straßen ziehen. Mit plakativen, populistischen und haltlosen Forderungen nach einem Fixpunkt suchend, einem Schuldigen, den man dann lynchen kann, an dem man alles Angestaute loswerden darf.  Auf den bisherigen Demonstrationen in Reudnitz war grundsätzlich die Forderung nach der Todesstrafe zu hören, das mitlaufende Nazivolk war mitnichten zu übersehen, das mehrheitlich vertretene Gedankengut der Teilnehmer tropfte braun in braun. Wer dort mitläuft, und meint, damit das Andenken an ein Kind zu bewahren und die eigene Trauer verarbeiten zu können, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Und das ist auch kein Raum, den mensch zurückgewinnen möchte. Denn in Reudnitz wächst derzeit zusammen, was zusammen gehört!

Und zum Schluß würzen wir die Fertigmischung "Kühe, Schweine, Ostdeutschland" noch mit ein paar bitteren Zitaten aus der größten "Wir trauern um Michelle"-Gruppe bei studiVZ:

“Am besten ist Schwanz ab und in eine Zelle mit vielen Schwulen setzen.”

“was dieses monster für ne strafe bekommen sollte!??
ihn auf nen stuhl fesseln und grausam quälen,stück für stück sollen
solche bestien merken wie es sich anfühlt[..] vernichten klar auf jeden
fall aber nicht auf so sanfte art, denn sowas haben solche monster
nicht verdient! “

“tötet diese drecksau!!!! mitten auf dem marktplatz steinigen,oder mal den vater der kleinen an den typen lassen!!!!”

“Den Schwanz in Scheiben schneiden und dann ausbluten lassen.”

Nachtrag:

Die Eltern des Mädchens haben sich über ihre Anwältin laut einem Artikel auf Spiegel-Online und einem Artikel in der LVZ geäußert. Sie distanzieren sich deutlich von der Vereinnahmung durch Nazis. Und statt zu trauern, darf der Vater nun auch noch auf seinen Schwager einreden, sein "Engagement für’s Volk" gefälligst zu lassen. 

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Antira-Aktion in Leipzig – Samstag, 30. August

30. August – Tag ohne Abschiebung
 

Wann: Samstag, 30. August, 12-16 Uhr Infoaktion, 15 Uhr Kundgebung

Wo:    Marktplatz Leipzig

INFO- UND PROTESTAKTION
In Leipzig rufen auf:
LExil, Abschiebehaftgruppe Leipzig, Infoladen Roter Faden, Initiative Flüchtlingsheim Grünau

 

Überall in Deutschland und Österreich wird am 30. August 2008 gegen die Migrationspolitik Deutschlands und der EU protestiert. Aktionen an Abschiebeknästen, bei Ausländerbehörden, auf Flughäfen und öffentlichen Plätzen sind geplant.
Der Protest richtet sich nicht nur gegen die staatliche Diskriminierung durch Sondergesetze wie Residenzpflicht und das Asylbewerberleistungsgesetz. Auch sollen die institutionalisierten Selektionen von EinwanderInnen, das Abschiebesystem und die Mechanismen der Migrationskontrolle sowie gesellschaftliche Homogenitätsvorstellungen und rassistische Ressentiments thematisiert werden. Seit 1993 gab es in Deutschland über 2 Millionen Inhaftierungen mit dem Zweck, Menschen außer Landes zu schaffen. Betroffene können heute bis zu 18 Monate ohne Tatvorwurf in Abschiebeknästen gefangen gehalten werden und sind menschenunwürdigen Haftbedingungen ausgesetzt. Jeden Tag werden über 40 Menschen aus Deutschland
abgeschoben, Selbstmorde und (Selbst-)Verletzungen in Abschiebehaft kommen dabei überduchschnittlich häufig vor. Auch in Leipzig sitzen Menschen in Abschiebehaft. Wir fordern ein Recht auf Migration für alle Menschen, das Recht eines jeden, den Wohnort frei zu wählen. Jede und jeder sollte gleiche Chancen haben, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht. Das Bekenntnis der europäischen Staaten zu universell gültigen Menschenrechten muss sich sowohl in der Gesetzeslage als auch im Umgang mit MigrantInnen, Flüchtlingen und Asylsuchenden zeigen. Nationalen Homogenitätsvorstellungen entgegentreten! Behördliche Diskriminierung unterbinden! Rassistische Sondergesetze abschaffen! Ausgrenzung stoppen! Lebensbedingungen verbessern! Abschiebungen verhindern!

Warum der 30. August?
Der 30. August steht symbolisch für alle Opfer von Abschiebehaft und Abschiebungen. Am 30.08.1983 hatte sich der anerkannte Flüchtling Kemal Altun aus Angst vor der Abschiebung in die Türkei, wo er Folteropfer gewesen war, aus dem Fenster des Verwaltungsgerichts Berlin zu Tode gestürzt. Am 30.08.1994, starb Kola Bankole nach Gewalteinwirkung durch BGS-Beamte in einer Lufthansa-Maschine, mit der er abgeschoben werden sollte. Am 30.08.1999 starb der Abschiebehäftling
Rachid Sbaai in einer Arrestzelle der JVA Büren unter „ungeklärten Umständen“ an einer Rauchvergiftung. Am 30.08.2000 stürzte sich der 28-jährige Altankhou Dagwasoundel beim Versuch, der Abschiebehaft zu entfliehen, in den Tod.

Die Genfer Flüchtlingskonvention, welche als direkte Konsequenz der durch Nazi-Deutschland millionenfach ausgelösten Fluchtbewegung verabschiedet wurde, enthält essentiele Grundwerte, welche in Deutschland bereits 1983 ad acta gelegt wurden. Die Anerkennung von Flüchtlingen aus Not- oder Kriegssituationen wurde auf höchstrichterlicher Ebene durch einen Katalog von Restriktionen faktisch unmöglich gemacht. Heute liegt die Anerkennungsquote bei etwas unter einem Prozent. Auch die ersten Aufenthalts- und Beschäftigungsbeschränkungen für „Ausländer“, Unterbringung in Barackenlagern sowie Ausweisungen außer Landes finden in der NS-Zeit ihren Ursprung. So war z.B. §16 Ausländergesetz von 1965 und die darin rechtlich verankerte Abschiebehaft eine fast wörtliche Übernahme des §7 der NS-Ausländerpolizeiverordnung. Dass hier
von Kontinuitäten die Rede sein kann, wird anhand der 80er Jahre deutlich. Dem Anliegen, die durch Anwerbestopp „ausländischer“ ArbeiterInnen angestiegenen Asylantragszahlen repressiv zu verringern, folgten befristete Arbeitsverbote, Asylverfahrensbeschleunigungen, Streichung von Sachleistungen und Kindergeld, die Errichtung von Sammellagern und Zunahme der Abschiebepraxis. In puncto Migration verabschiedete sich die deutsche Politik von der deutschen
Vergangenheitsbewältigung spätestens seit dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom Dezember 2004. Seitdem sollen jüdische EmigrantInnen und deren Familienangehörige nur noch mit Zusage eines Bundeslandes, ausreichenden Deutschkenntnissen sowie einer Einladung der jüdischen Gemeinde aufgenommen werden. Dass die ideologische Trennlinie zwischen „Rechtsextremisten“ und „Bürgerlicher Mitte“ keinen Sinn ergibt, wird allein anhand von Anti-Asyl-Kampagnen der 90er deutlich. Die Hetze gegen „Scheinasylanten“, „Asylmissbrauch“ und „Überfremdung“ führte damals zu den Pogromen von
Hoyerswerda, Mölln, Solingen, Rostock-Lichtenhagen, heute Mügeln, usw. Anstatt auf die rassistischen Tendenzen und die prekäre Situation der Opfer einzugehen, besannen sich CDU/CSU, FDP und SPD schnell auf nationale Antworten. Der Forderung, mensch könne nicht den Nazis „nationale Themen überlassen“, sondern müsse sie vielmehr selber besetzen, folgten die Änderung des Artikels 16GG. Durch das „Konzept sicherer Herkunftsländer“ war Deutschland auf dem Landweg
nicht mehr legal zu erreichen. Kettenabschiebungen, z.B. von Deutschland über Polen in die Ukraine usw., wurden die Türen geöffnet. Die Ursprünge restriktiver Asylpolitik sind hierbei nicht zuerst in den politischen Entscheidungen selbst auszumachen. Ihren Nährboden findet diese Politik in einer übereinstimmenden, von irrationalen Angst und Vorurteilen geleiteten Bevölkerungsmehrheit. Die Opfer der Anschläge wurden so für gesetzliche Veränderungen instrumentalisiert. Politiker folgten gezielt dem rassistischen Mehrheitswillen. Neue Gesetze spiegeln seitdem Kompromisse zwischen dem ökonomisch Bedarf nach Zuwanderung und der Abwehr unerwünschter MigrantInnen wider. Titel moderner Konzepte wie: „Steuerung, Integration und innerer Friede“ sprechen die Sprache ausdifferenzierter Vergabe von Aufenthaltstiteln und Privilegien je nach Nutzen für den Standort. Humanitäre Verpflichtungen sind nachrangig geworden. Im „Nützlichkeits-“, „Leistungs-“ oder „Verwertungsrassismus“ werden rassistische Differenzierungen für das kapitalistische Konkurrenzprinzip und irrationale Ängste zu einem gefährlichen Cocktail vermischt. Heute prüft die Agentur für Arbeit getreu dem Motto „Arbeit
zuerst für Deutsche“, ob sich durch die Beschäftigung eines „Ausländers“ Nachteile für den Arbeitsmarkt ergeben könnten. Deutlich wird nicht nur die Logik der Verwertung, Ein- bzw. Ausschlussmechanismen nationaler Kollektive, sondern auch die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse. MigrantInnen kommen oftmals nur in körperlich stark belastenden
Arbeitsverhältnissen unter, werden aus dem legalen Arbeitsmarkt hinaus in den informellen Sektor gedrängt. Das interessengeleitete Gerede von struktureller Integration stellt dabei die aktuelle Form einer Leitkulturdebatte der Anpassungszwänge zwischen „Wir“ und „Den Anderen“dar. Auf europäischer Ebene gestaltet sich die „Harmonisierung“ von Asylpolitik im Zuge der Umsetzung nationaler Interessen restriktiver als je zuvor. FRONTEX, EURODAC und die Planung eines
europäischen Grenzschutzkorps sowie eine themenspezifisch europaweit geltende Gesetzgebung, Rückführungsabkommen, Grenzzäune, Lager und Abschiebeketten sollen die Abwehr, Kontrolle und Selektion von Flüchtlingen gewährleisten. Der Umgang mit Migration lässt sich heute auf den Schutz eines Wirtschaftssystems herunterbrechen.  Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen sind in den Ländern der europäischen Peripherie keine Seltenheit, welche mit massiven „Umverteilungen“ der Asylanträge und dem Anspruch Kerneuropas auf wirksame Grenzschützung konfrontiert sind. Einen spezifischen Widerspruch im europäischen Gebilde stellt der einerseits proklamierte Export von Wertepolitik wie der Verpflichtung zur Genfer Flüchtlingskonvention dar, welcher andererseits jedoch im Umgang mit MigrantInnen, AsylbewerberInnen und Flüchtlingen auf eigens geschaffene Grenzen trifft.
Auch wenn sich die Migrationsdebatte durch die Erweiterung Europas und eine sich mehr herauskristallisierende Festung zwingend verlagert, dürfen wir auf konkrete Forderungen nicht verzichten.

als pdf: Aufruf

Blog für den bundesweiten Aktionstag
www.30august.org
Flyer für die Demo vor dem Abschiebeknast Büren

 

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LVZ 26.08.08

 Linke: Stadt soll Neonazi-Forderungen entgegentreten – Gegenkundgebung geplant

Leipzig. De Linke in Sachsen hat Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard
Jung (SPD) kritisiert, weil er nicht offensiv rechtsextremistischen
Aktionen im Zusammenhang mit dem Fall Michelle entgegentrete. Es sei
längst der Zeitpunkt erreicht, an dem auch die Stadt sich äußern
müsste, wenn auf Demonstrationen von Neonazis die Todesstrafe für
Kinderschänder gefordert werde, sagte das Landesvorstandsmitglied
Juliane Nagel. „Jetzt sollte auch der Oberbürgermeister etwas dazu
sagen.“

Leipzigs Stadtsprecher Steffen Jantz räumte ein, dass die demokratische
Politik jetzt möglicherweise aktiver dagegen vorgehen müsse, dass
Rechtsextreme die Ängste der Menschen ausnutzten. Es sei aber eine
Frage der Pietät und der Gratwanderung zwischen Zurückhaltung
angesichts der Tragödie und dem demokratischen Anliegen. Man wolle die
politische Debatte um die Todesstrafe auch „nicht hochschaukeln“, sagte
er. Konkrete Planungen für eine offizielle Trauerfeier der Stadt für
Michelle gebe es noch nicht.

Nagel sagte, Bürgerinitiativen würden derzeit überlegen, am kommenden
Montag eine Gegenkundgebung zu organisieren. Dabei wolle man ebenfalls
die Ängste der betroffenen Eltern und Bürger ernst nehmen und darauf
eingehen, gleichzeitig aber eine deutliche Abgrenzung zu den
Rechtsextremisten erreichen.

Am Montag hatten gut 500 Demonstranten – darunter laut Polizei mehr als
300 Rechtsextreme – in Leipzig härtere Strafen für Kinderschänder
gefordert. Der Protestzug startete am Montagabend vor der Grundschule
des getöteten Mädchens und endete am Stötteritzer Wäldchen, wo die
Leiche der Achtjährigen gefunden worden war.

Aus dem Zug wurden Rufe laut wie: „Keine Gnade für Kinderschänder“ und
„Kinderschänder – Todesstrafe“. Etwa hundert Teilnehmer trugen
uniformähnliche Kleidung, wie sie in der rechtsextremen Szene üblich
ist. Wie Polizeisprecher Uwe Voigt mitteilte, verlief die Kundgebung
jedoch friedlich und ruhig. Auf Seiten der rechtsextremen Szene im
Internet war seit Michelles Verschwinden die Todesstrafe für
Kinderschänder gefordert worden.

Auch im Fall des ermordeten Mitja hatten Rechtsextreme die Situation
auszunutzen versucht: Sie verteilten Flyer, in denen sie ihren Parolen
freien Lauf ließen. So wurde gegen Ausländer und so genannte
„Volksentfremdete“ gehetzt. Mitglieder der Szene demonstrierten damals
mehrmals.

Dass die rechtsextreme Szene ausgerechnet im Fall Michelle wieder
massiv aktiv wurde, ist kein Zufall: Der Onkel des ermordeten Mädchens,
Istvan R., zählt zu den führenden Köpfen des Neonazi-Netzwerks Freie
Kräfte Leipzig. Allein in diesem Jahr trat er bei zahlreichen
Rechtsextremen-Kundgebungen, etwa in Reudnitz, Grünau und Großzschocher
als Anmelder auf.

Bereits bei den Worch-Demos in früheren Jahren sichteten ihn
Staatsschützer in den ersten Reihen des Marschblocks. Vor einem Monat
stand er im Zusammenhang mit einem Überfall auf das alternative
Jugendzentrum Bunte Platte in Grünau vor Gericht. Wegen des Vorwurfs
der Beleidigung wurde er damals zwar aus Mangel an Beweisen
freigesprochen. Allerdings muss er sich voraussichtlich im November
wegen der bei diesem Überfall begangenen Körperverletzung verantworten.

Angemeldet hatte die Demonstration vom Montag Simone Thalheim, die in
dem Viertel von Michelles Familie wohnt. Eine Initiative aus Eltern und
Anwohnern habe sich spontan zusammen geschlossen, so Thalheim. Es gehe
ihr aber nicht nur um den Fall der getöteten Michelle, sondern um die
generelle Sicherheit der Kinder und den Umgang mit Sexualstraftätern.

Sie bestätigte außerdem, dass "rund 100 Leute aus der rechtsextremen
Szene" an dem Protestzug teilnahmen und dabei auch mit Megafonen
Anweisungen für Schweigeminuten während der Kundgebung gaben. "Die
Forderung der Todesstrafe lehnen wir aber ab", sagte Thalheim. Sie habe
deshalb am Montagabend auch dafür gesorgt, dass diese Rufe schnell
wieder verstummten.

Die Demonstrationen sollen von nun an wöchentlich am Montagabend
stattfinden. Geplant ist eine Strecke über die Zweinaundorfer Straße,
die Breite Straße und die Dresdner Straße bis zum Augustusplatz, wo die
Demonstration jeweils mit einer Kundgebung beendet werde, so Thalheim.

Am kommenden Sonnabend solle in Leipzig zudem eine Kinderschutzgruppe
gegründet werden. Vorbild ist die Berliner Organisation "Carolin". Der
Verein hatte sich 2005 gegründet. Damals war die 16-jährige Carolin aus
dem Ostseebad Graal-Müritz in einem Wald vergewaltigt und erschlagen
aufgefunden worden. Die Elterninitiative aus der Bundeshauptstadt
betreibt Prävention und Aufklärung und hilft Thalheim zufolge beim
Aufbau der Leipziger Vereinigung.

Zusätzlich zum Spendenkonto der Stadt Leipzig (Konto 1 000 000 040,
Sparkasse Leipzig, Bankleitzahl 860 555 92, Verwendungszweck:
Michelle), richtete auch die Elterninitiative ein Konto zugunsten der
Familie von Michelle ein (Konto 10 88 100, Bank für Sozialwirtschaft,
Bankleitzahl 100 20 500, Verwendungszweck: Spende für Michelle).

mro, sb, kol, F. D./dpa

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Reudnitz, Reudnitz, immer wieder Reudnitz

 Und noch eine Demonstration in Reudnitz

Am Montagabend haben sich erneut rund 500 Personen "spontan" in Reudnitz versammelt und sind durch Reudnitz gezogen. Auch diesmal tönte wieder die Forderung nach der Todesstrafe und man hätte fast denken können, der entfesselte Bürgermob geht auf Jagd. Beim genauen Hinschauen wurde dann aber schnell klar, dass nicht wenige Nazis sich auf der Demonstration befanden. Neben dem Fronttranspi (diesmal ohne "Freies-Netz"-Signum und Nationalsozialistenwerbung) wurden schwarze Flaggen von sonnenbebrillten Nazis im Autonome-Nationalisten-Style getragen. Zudem stellten sie eine Art Ordnerdienst und choreografierten Sprechchöre ("Todesstrafe für Kinderschänder", "Keine Gnade für Kinderschänder") sowie Schweigeminuten mittels Megaphonen, teilweise versuchten sie, dass Tragen von Mützen und das Rauchen zu unterbinden. Und wieder kam das halbe "Freie Netz" aus dem 200k-Umkreis angerollt, um mit Istvan auf die Straße zu gehen und diesmal mit versuchsweise reduzierter Nazi-Optik Brücken zu schlagen.

Die Anmeldung erfolgte diesmal nicht durch Nazi-Onkel Istvan, sondern neutraler durch Simone Thalheim, ihres Zeichen Vertreterin einer Initiative aus Eltern und Anwohnern. Sie bestätigte gegenüber der LVZ die Teilnahme von rund 100 Nazis und gab an, aufkommende Sprechchöre mit der Forderung nach der Todesstrafe unterbunden zu haben. Dem widersprachen Anwesende, laut denen die Rufe bis zum Ende immer wieder wahrnehmbar waren. Zudem äußerte sie sich gegenüber einem Kamera-Team und sagte, dass sie "keine Probleme mit den Rechten hätte, selbst nun aber auch nicht rechts sei". Ganz offensichtlich hat sie wirklich kein Problem mit Nazis, vielmehr mit dem Zählen: Selbst die Polizei konnte besser addieren und sprach von realistischeren 300 Nazis im Aufzug.

Das Bildmaterial, welches die LVZ online stellte, spricht genauso Bände und belegt beim genauen Hinschauen nicht nur die zahlenmäßige Anwesenheit, auch die koordinierende Funktion, die Nazis während des Aufmarschs einnahmen, sind gut zu erkennen. (Nazis tragen nicht zwangsläufig eine braune, oder schwarze Uniform, sondern kleiden sich teilweise in einem, oftmals nur an dezenten Symbolen zu erkennenden, subkulturellen Style. Zumindest gestern waren Shirts mit der Aufschrift "Todesstrafe für Kinderschänder" und Pullover und Jacken der Marken "Thor Steinar", "H8-Core" und "Erik&Sons" zu erkennen. Zudem gab es die klassische "Glatze" zu sehen und das neue possierliche Tierchen des "Autonomen Nationalisten". Und angemerkt sei, dass sich von diesen Erscheinungen abgesehen, nicht jeder seine politische Standpunkte auf die Stirn malt.)

Die sogenannte Bürgerinitiative kündigte an, von nun an jeden Montag durch Leipzig marschieren zu wollen und dabei sich nicht mehr auf Reudnitz beschränken zu wollen, sondern bis zum Augustusplatz zu ziehen.

Nachdem die Nazis in einem Beitrag von SpiegelTV (natürlich auch hier der Rethoriker Istvan dabei) nicht gerade bejubelt werden, schafft es auch die LVZ zu erwähnen, dass es diese Demonstrationen (1,2,3) gab und ein Großteil der Teilnehmer Nazis waren.

Bildmaterial: Reudnitz 25.08.08

LVZ 25.08.08 – Mordfall Michelle: Wöchentliche Demonstrationen geplant

LVZ 26.08.08 – Reudnitzer planen Montagsdemos und wollen Eltergruppe gründen

LVZ 26.08.08 – Linke: Stadt soll Neonazi-Forderungen entgegentreten – Gegenkundgebung geplant

flohbu.de – Erster Akt: Reudnitzer Montagsdemo

 
http://www.youtube.com/watch?v=OeSkWGfW6DY

 

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